Ein Kreuz in Sibirien
Tobolsk. Mann, hatte der einen Tripper! Zuletzt sah seine Kanone aus wie 'n Rohrkrepierer. Das hätte man ja noch behandeln können – aber der Bursche hat neunzehn Weiber angesteckt. Neunzehn, Genosse! Da wurde er untragbar. Weg nach Tobolsk. Nun hast du das Zimmerchen.« Abukow nickte wortlos, bezog sein Zimmerchen, legte die Matratze zum Lüften aus dem Fenster und dachte bei allem, was er tat, immer nur: Larissa! Tut sie es wirklich? Opfert sie Hunderte von Menschen einer wahnsinnigen, völlig sinnlosen Eifersucht wegen? Werden am Montag tausend schwankende Gestalten erbarmungslos in die Sümpfe getrieben?
Gleich heute morgen hatte er Gribow im Lager angerufen. Es dauerte lange, bis er ihn am Telefon hatte, denn alles lief über die zentrale Lagervermittlung. So einfach kann man kein Straflager anläuten, und der Genosse am Schaltkasten fragte dann auch streng: »Wer ruft da an? Was wollen Sie? Den Genossen Gribow sprechen? Nennen Sie Ihren Namen, und sagen Sie, woher Sie jetzt anrufen.«
»Hier spricht Abukow, der Fahrer von Kühlwagen 11. Gib mir sofort Gribow an die Strippe, oder ich pinkle bei der nächsten Lieferung in eure Quarkwanne …«
Dann hatte er Gribow endlich am Telefon, sagte freundlich: »Guten Morgen, mein liebster Kasimir Kornejewitsch!« –und erhielt einen Fluch zur Antwort. Gribow lag noch neben der drallen Nina im Bett, Sonntag war's ja, man konnte sich räkeln und sich ein deftiges Morgenspäßchen mit der immer willigen Nina Pawlowna leisten. Das Magazin war geschlossen, die Lagerküche arbeitete unter Aufsicht des strafgefangenen Bäckers Tschalap – eines breitgesichtigen, gelblichen Tschuktschen, der genauso aussah, wie man die Urasiaten in den Kinderbilderbüchern zeichnete –, und so konnte sich Gribow im Bett und auf Nina wälzen, ohne auf die Uhr zu blicken. Da, gerade da, rief Abukow an. Wen wundert's, daß Gribow fluchte, als seien seine Stiefel voll Wasser. »Kannst du Mustai holen?« fragte Abukow höflich.
»Nein! Hast du keinen Kalender und keine Uhr? Heute am Sonntagmorgen …«
»Was hat das mit Mustai zu tun?«
»Alles!« Gribow keuchte, weil Nina Pawlowna, das Aas, ihn streichelte, wohl wissend, daß er jetzt am Telefon zu keiner Gegenwehr fähig war. »Ich kann nicht nackt zu ihm laufen.«
»Du liegst noch im Bett?«
Ein Juchzer, den Nina in diesem Augenblick ausstieß, ließ Abukow im fernen Surgut erkennen, daß ein Sonntagmorgen bei Gribow nicht aus einem Gottesdienst oder frühsportlichen Übungen bestand.
»Sei ein guter Freund und hol ihn …« sagte Abukow milde. »Bitte Nina um Verzeihung, aber ich muß Mustai sprechen. Wichtig ist's!«
Gribow hatte noch einmal kräftig geflucht, auf Ninas Hand geschlagen, die ihm keine Ruhe ließ, war aus dem Bett gehüpft und hinüber zu Mustai gerannt, in einem gestreiften Bademantel und einem breitgestreiften Schlafanzug, wie ihn Millionen Russen tragen. Es gibt in Rußland zwei Sorten von Uniform: die der Soldaten – und die Schlafanzüge. Im Schlaf sind alle Proletarier gleich.
Mustai erschien mit dick verquollenen Augen am Telefon. Er hatte bis in die Nacht hinein ein höllisches Gebräu aus selbstgebranntem Kartoffelschnaps ausprobiert, im Verhältnis 1 : 1 gemischt mit Walderdbeerlimonade und einen Schuß Moosbeerenlikör. So einen Trunk konnte man nur schwer überleben. Außerdem hatte er davon geträumt, daß er in Abukows Theater mitspielen würde; in diesem dusseligen Stück, wo eine Schwindsüchtige so lange singt, bis sie Blut spuckt. Er hatte sich auf der Bühne gesehen, wie er »Mimi! Mimi!« schrie und dabei dachte: Hättest du nicht gesungen, du dämliche Ente, lägst du nicht tot auf dem Rücken. Jetzt mußte er sich erst wieder in der Wirklichkeit zurechtfinden, als er am Telefon stand.
»Was ist im Lager los?« fragte Abukow, als sich Mustai meldete.
»Nichts!« antwortete Mustai noch halb in den Fängen seines Gebräus und seiner Träume. »Es wird gehungert und gestöhnt. Was soll sich in Rußland in zwei Tagen ändern? Frag in zweihundert Jahren wieder an …«
»Hat Larissa ihre Drohung wahrgemacht?«
»Welche Drohung?« Mustai riß die brennenden Augen weit auf. »Womit hat sie gedroht?«
»Sie will keinen mehr krank schreiben.«
»Das wird sich morgen zeigen, Victor Juwanowitsch. Wann hat sie das gesagt? Wissen es die anderen? Ist sie verrückt geworden?«
»In einer Krise steckt sie«, sagte Abukow vorsichtig. »Man muß sie beobachten. Auch sie hat nur Nerven …«
»Und da
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