Ein Kreuz in Sibirien
den großen Frost.«
»Was haben Sie zu bringen, Rassul Sulejmanowitsch?« fragte die Tschakowskaja. Sie kam aus dem Schlafzimmer, erst halb angezogen, und Rassim sah bestätigt, daß sie eine wunderbare, feste, aufreizende Brust besaß; gerade so groß, daß sie in seine Hand passen würde. Sie trug nur ein enges, durchsichtiges Unterhemd, dagegen hatte sie schon die Uniformhose und Stiefel an. Der Uniformrock mit den breiten Schulterstücken eines Kapitäns (Hauptmanns) hing über einer Stuhllehne. Sie hatte die Haare mit einem roten Stirnband zurückgebunden und ihr schmales, helles Gesicht mit den hochangesetzten Backenknochen mit einer dicken Cremeschicht bedeckt. Rassim sah das zum erstenmal und riß den Mund auf.
»Das ist ja schrecklich!« sagte er betroffen. »Larissa Dawidowna, leiden Sie unter einer Hautkrankheit? Seit wann? Habe das nie bemerkt …«
»Das ist eine Schönheitscreme«, sagte sie leichthin und holte aus einem Wandschrank ihre hellolive Sommermilitärbluse.
»Was ist das?« japste Rassim. »Meine Ohren klingen …«
»Eine Nähr- und Straffungscreme, Genosse. Wenn man zweiunddreißig ist, sollte man beginnen, auf seine Haut zu achten.«
»Du liebes bißchen. Sie machen Schönheitskosmetik, bevor Sie zu den Saukerlen gehen und sie in die Sümpfe schicken? Larissa Dawidowna, Sie zwingen mich dazu, Sie etwas sympathisch zu finden. Sie zeigen Ansätze von Perversität; wir können uns näherkommen. Kremt sich mit Schönheitssalbe ein und lebt in einem Straflager! Was habe ich bloß um mich: einen schwulen Chirurgen, einen geilen Kommissar und nun auch noch eine Chefärztin, die ihre Falten jagt! Da sage einer, wir hätten nichts zu bieten.«
»Was wollen Sie von mir, Rassul Sulejmanowitsch? Warum sind Sie gekommen?«
»Nicht, um in Ihr durchsichtiges Hemd zu gucken.« Er zeigte mit dem Daumen über seine Schulter: »Wissen Sie, daß Ihr ganzes Hospital und auch andere im Lager kotzen?«
»Ja. Es wurde mir gemeldet.« Sie zog die Bluse an und knöpfte sie sittsam bis zum Hals zu.
»Und das regt Sie nicht auf?«
»Nein.«
»Wenn es eine Infektion ist …? Eine Epidemie? Ansteckungsgefahr? Mikola Victorowitsch deutete so etwas an.«
»Wenn Jachjajew so enorme medizinische Kenntnisse besitzt, sollten Sie sich voll Vertrauen seinem Rat beugen.«
»Eine klare Auskunft will ich!« brüllte Rassim erregt. »Sie sind Ärztin, aber ich bin der Kommandant.«
»Das hat noch nie einer angezweifelt.«
»Verantwortlich für das Lager bin ich! Nicht Sie, Larissa Dawidowna. Wenn wir eine Infektion haben, bedeutet das Quarantäne, nicht wahr? Soll ich tausend Mann an die Trasse schicken, tausend Infizierte, und die anderen Genossen an der Gasleitung gefährden? Sollen wir den ganzen Abschnitt verseuchen?« Rassim holte tief Luft. »Alles hängt von Ihrer Diagnose ab!« Er hob die Faust und drohte wild. »Aber das sage ich Ihnen, Larissa: Kommen Sie ran und verlangen eine Quarantäne, dann alarmiere ich Tjumen und lasse eine ärztliche Spezialistengruppe einfliegen!« Er setzte sich schwer auf das Sofa und wartete, bis die Tschakowskaja nun auch ihre Uniformjacke übergestreift hatte. Nun war sie korrekt angezogen und trotz des militärischen Aussehens ein rassiges Weib.
»Was glauben Sie, was die Kotzerei bedeutet?«
»Das wird eine Reihenuntersuchung ergeben.«
»Was vermuten Sie, Larissa Dawidowna?«
»Sibirien ist ein jungfräuliches Land. Vor allem das Gebiet, in dem wir leben. Wer weiß, was der Boden nährt, was in den Pflanzen wächst, was in den Bäumen hängt, was der Wind mit sich trägt? Hunderte unerforschter Krankheiten können es sein. Alles ist Neuland, Urland, voller Geheimnisse. Es kann hier Bakterien oder Viren geben, denen wir zum erstenmal begegnen und denen wir hilflos gegenüberstehen.«
Rassim wischte sich über die Augen und knurrte tief. Plötzlich erkannte er, wie hilflos dieses unfaßbare Land einen Menschen machen konnte. Ein Urland, dachte er. Das ist ein gutes Wort. Wir leben hier in einem anderen Erdzeitalter.
»Es kann aber auch nur eine harmlose Darminfektion sein«, sagte die Tschakowskaja. »Man wird sehen …«
Sie wischte sich die dicke Cremeschicht mit einem Handtuch ab, warf es in die Ecke und zog dann vor dem Wandspiegel Augenbrauen und Lippen nach. Fasziniert sah Rassim ihr zu.
»Das glaubt mir keiner«, sagte er rauh. »Meine Lagerärztin geht zur Selektion wie zu einer Modenschau oder einem Tanzfest! – Ich habe noch eine Frage.«
»Wir können
Weitere Kostenlose Bücher