Ein Kreuz in Sibirien
wenn Gribow Sonne, Mond und Sterne anheult.«
»Wer ist Gribow?«
»Ein fettes, korruptes Schwein von Magazinverwalter. Die beste Voraussetzung, ein Freund von Jachjajew zu sein, auch wenn er ihm die Geliebte weggenommen hat.«
»Die Verhältnisse in Ihrem Lager scheinen vorbildlich zu sein«, sagte Morosow voll Ironie. »Trösten Sie sich mit meiner Erfahrung, meine Liebe – es ist woanders genauso. Von Natur aus ist der Mensch ein Schuft – nur Erziehung und soziale Stellung ermöglichen es ihm, sich zu verkleiden. Wir alle sind erbärmlich. Und wer ehrlich mit sich selber ist und der Wahrheit nicht ausweicht …«
»Lassen Sie uns fahren, Wladimir Alexejewitsch«, sagte die Tschakowskaja ausweichend. Sie dachte an die letzten Tage, an Abukow, an die schreckliche Szene in ihrem Zimmer. Erbärmlich, hatte Morosow gesagt – das war ein gutes, richtiges Wort. Aber in erbärmlich steckt das Wort Erbarmen. Und Erbarmen ist Hoffnung. »Ich muß mit Rassim und der Küche gesprochen haben, bevor die Brigaden wieder ins Lager rücken. Kämpfen werde ich wie eine Wölfin.«
»Sie denken an den Priester, Larissa Dawidowna?« fragte Morosow leise, als könne man sie belauschen.
»Wenn er kommt, erzähle ich ihm von Ihnen.«
»Sie wollen mir nicht verraten, wer es ist?«
»Nein.«
Morosow gab es auf, weiter danach zu fragen. Sie stiegen in den Geländewagen, fuhren hinüber zu dem Benzinlager und kamen an einer Häftlingskolonne vorbei, die Knüppelholz in die Karren lud. Larissa erkannte den General Tkatschew, den Schriftsteller Arikin und den Physiker Lubnowitz. Trotz ihrer Vermummung mit Moskitonetz und großem Strohhut erkannten auch sie die Tschakowskaja, vor allem an ihrer Uniform mit den Kapitänsschulterstücken. Sie richteten sich auf, starrten sie an mit großen, fiebrigen Augen, aber sie grüßten sie nicht mehr wie früher, sie lächelten nicht, sie hoben nicht mehr die Hand. Ein Rätsel war sie ihnen geworden nach diesem Montagmorgen.
Nur kurz war diese Begegnung, die Sekunden des Vorbeifahrens, und als sie in den Rückspiegel blickte, sah sie, wie Arikin hinter ihr ausspuckte mit all der Verachtung, zu der er fähig war.
Der Jeep an dem Benzinfaßlager war verlassen. Morosow hielt an, half Larissa wieder aus dem Wagen und blickte sich um. Von Leutnant Sotow keine Spur. Plötzlich hörten sie ein Kreischen mitten aus dem Faßlager, das Klatschen von Schlägen, eine Stimme, die schrie: »Laß von ihr ab, du Schwein!« und dann Sotows brüllende Entgegnung: »Die Hose runter, sag ich dir!«
Mit langen Schritten rannte Larissa durch die Stapelgassen, und Morosow folgte ihr in großer Sorge. Das Kreischen der Frau wies ihnen den Weg, sie bogen in eine Seitengasse ein und erreichten einen kleinen freien Platz inmitten der Faßstapel.
Ein Mädchen, die Haare zerwühlt, kniete auf der Erde, hatte die Hände flach gegen ihre nackten Brüste gedrückt und kreischte, als ziehe man ihr die Haut bei lebendigem Leib ab. Ihre Bluse lag neben ihr, genau wie die derben Schuhe und ein grauer, baumwollener Schlüpfer. Leutnant Sotow stand breitbeinig vor ihr, einen Strick in der Hand, und man sah in den roten, aufquellenden Striemen über den Schultern des Mädchens, daß er damit zugeschlagen hatte. Den erschütterndsten Anblick aber bot ein Mann, dem das Blut aus einer Wunde über das zuckende Gesicht lief und der mit beiden Händen seine Hose festhielt. Auch sein nackter Oberkörper war von Striemen gezeichnet, das Hemd lag zerfetzt neben einer Benzintonne.
Die Tschakowskaja erkannte entsetzt den Juristen Kriwow. Er starrte sie entgeistert an, erkannte sie auch an der Uniform und senkte den blutenden Kopf.
»Welche Hurereien!« schrie Leutnant Sotow. »Liegt da auf einem Weib, statt zu arbeiten. Genossin Tschakowskaja – gehe ich doch ahnungslos hier vorbei, und was höre ich da aus den Benzinfässern? Stöhnen und Flüstern, spitze Schreie und ferkelhaftes Grunzen. Da muß man nachsehen, dachte ich. Und wie ich um die Ecke biege, worauf fällt mein Auge? Einer meiner liebsten Schufte nagelt ein Weibchen auf den Boden. Ist er zur Strafe hier, frage ich, oder zur Lust?« Sotow wandte sich an den armen Kriwow, wollte mit dem Tau noch einmal zuschlagen und fuhr herum, weil die Tschakowskaja mit einem Ruck seinen Arm zurückriß. »Lassen Sie mich los, Larissa Dawidowna! Das hier gehört nicht in den ärztlichen Bereich. Hier ist es meine Aufgabe, für Ordnung zu sorgen.«
Er machte sich aus ihrem Griff frei, warf
Weitere Kostenlose Bücher