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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Verbrannten eine Injektion, kurz darauf hörten sie auf zu atmen.
    Später sagte Rassim zu der Tschakowskaja: »Den Bericht über die Brandopfer habe ich endlich da. Es waren der Kunstmaler Jemeljanow und Literaturhistoriker Professor Ljubuchin. Fassen sich plötzlich an die Hand und springen gemeinsam in den brennenden Holzhaufen. Schwache Naturen alle, diese Intellektuellen! Sie waren vorher verprügelt worden, weil sie angeblich zu schwach waren, das Reisig wegzuschleifen. Aber stark genug waren sie, um ins Feuer zu springen. Sind alle eine verlogene, hinterlistige Bande.«
    »Waren Sie dabei, als das mit dem Feuer passierte?« fragte sie jetzt Morosow.
    »Ich war in Surgut, bei einer Ingenieurbesprechung. Wer hätte es verhindern können? Ihr Lebenswille war zerstört. Ljubuchin – hieß er so? – war ein wirklicher Lebenslänglicher, ohne Aussicht auf Gnade. Selbst aus dem Lager schmuggelte er noch Pamphlete gegen die Regierung, und Jachjajew ließ ihn vier Wochen lang in Dunkelhaft sperren mit einem Lautsprecher, aus dem Tag und Nacht Musik erklang und ab und zu Jachjajews verdammte Stimme mit politischen Lehrvorträgen. Nach diesen vier Wochen war Ljubuchin fast wahnsinnig und nicht mehr der Mensch, der er früher einmal gewesen war. Und der Maler Jemeljanow? Nie wieder hätte er nach seiner Begnadigung malen können. Beide Handgelenke waren ihm gebrochen bei einem Unfall im Wald, die Sehnen verkürzt. Krallenfinger hatte er nur noch, gerade eben zu gebrauchen zum Wegschleppen von Reisigbündeln.«
    »Ich weiß«, sagte die Tschakowskaja leise. »Er saß manchmal bei mir und weinte. Als man ihn aus dem Feuer brachte, habe ich ihn nicht wiedererkannt – er hatte kein Gesicht mehr.«
    Die Waldschneise öffnete sich, ein bereits abgeholztes Sumpfgebiet, so groß wie die Grundfläche einer mittleren Stadt, breitete sich vor Morosow und Larissa aus. Entwässerungsgräben durchzogen den Boden, Pumpen rasselten und transportierten das moorige Wasser in dicken Kunststoffschläuchen zu den nahe gelegenen Seen. Am Rande dieses neu eroberten Landes standen schnell abbaubare Baracken und Schuppen, lagen große Stapel mit Balken und Knüppeln, aus denen man Stege und Wege baute, Benzinfässer und Drainageschläuche, war ein Rohrlager, eine Schmiedewerkstatt, waren Kieshalden, Sand und Berge von herbeigefahrener trockener Erde. Unter einer großen Plane stand ›Tjumen‹, einer der sagenhaften Sumpfschlepper, die 36 Tonnen Last schleppen können und dabei nur einen Bodendruck von kaum 300 Gramm je Quadratzentimeter aufweisen – der Druck, wie ihn ein mittelgroßer Skiläufer auf seine Ski verteilt. Für ›Tjumen‹ gab es keine Sumpfhindernisse.
    Morosow hielt seinen Geländewagen neben dem technischen Wunderwerk an und überließ die Tschakowskaja wortlos dem Anblick, der sich ihr bot: Vor ihr, über den großen Sumpf verteilt, an den Entwässerungsgräben schaufelnd, eingehüllt in Wolken von Mücken, krummrückig, schutzlos gegen Sonnenglut und Moskitobisse, wühlten sich die Sträflinge durch den schwabbelnden Boden, schleppten Bohlen und Knüppel für die Dämme, schleiften Rohre, schoben Karren mit Sand und Erde zum Auffüllen und Befestigen.
    Ein Gewimmel von Leibern. Riesenameisen, in Lumpen gehüllt. Lemuren mit menschlichen Gesichtern und Gliedmaßen, von Mückenstichen aufgetrieben, gelbgrau überzogen vom getrockneten, stinkenden Morastwasser.
    »Das ist leichte Arbeit«, sagte Morosow und half Larissa beim Aussteigen. »Würde Rassim das sehen, würde er aufschreien: Sie ruhen sich ja aus! – Noch ganz andere Plackereien gibt es. Die Rohrwickler zum Beispiel müssen die Gasrohre mit Asbest und Glaswatte verkleiden; da aber nur zweimal im Jahr Arbeitshandschuhe zugeteilt werden, wickeln die meisten die Rohre mit den bloßen Händen ein.«
    »Ich habe dreiundneunzig Fälle von Hauterkrankungen und Lungenschädigungen durch Asbeststaub«, sagte die Tschakowskaja. Die Moskitos fielen über sie her, Schwärme umschwirrten sie, eine Wolke aus Millionen von gelblich glitzernden Leibern mit durchsichtigen Flügeln. »Und bei fast allen Arbeitern fallen die Zähne wegen Vitaminmangel aus.«
    »Und dann die Holzfällerbrigaden«, fuhr Morosow fort, »sie haben Motorsägen, nun ja – aber wer kann zehn Stunden lang eine schwere Motorsäge an diese eisenharten Stämme halten, wenn seine Arme dünn und kraftlos sind? Oder die Planierer: Was die Riesenbagger ausgraben, muß verteilt werden, die Gräben müssen

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