Ein Kreuz in Sibirien
steht auf keiner Karte. Seit zwei Jahren ist dort kein Steppmantel angekommen. Genosse Kommandant – woran mag das liegen?«
»Das sind Fragen, die man verschlucken sollte.« Kabulbekow grinste verhalten. »Victor Juwanowitsch, mein Lager liefert die schönen Dinge pünktlich nach Plan und Soll. Sie sehen selbst, wie voll die Magazine sind und wie sich die Sachen stapeln. Und dann kommen die Lastwagen, holen sie ab, und damit ist meine Aufgabe erfüllt. Auf dem langen Weg von hier bis zu den anderen Lagern sitzen so viel muntere Genossen, daß es fast unmöglich ist, Kontrollen durchzuführen. Wer auch, frage ich, soll sie machen? Es käme dabei höchstens heraus, daß die Genossen sich selbst kontrollieren müßten.« Kabulbekow klopfte Abukow auf die Schulter. »Überall sitzen nur Menschen, Genosse. Und das Leben ist so kurz. Weiß man, was morgen sein wird?«
Abukow sah noch die große Wäscherei, das Säge- und Holzverarbeitungswerk, die riesige Küche, die für 2.000 Frauen kochen mußte, eine Bäckerei, dann Schmiede- und Elektrowerkstätten, das eigene Elektrowerk und einen Sportplatz. Tatsächlich, es war ein Sportplatz mit einem jetzt von der Sonne verbrannten Rasen in der Mitte und einer Aschenbahn rundherum.
Kabulbekow blähte sich vor Stolz: »Mein neuestes Werk. Existiert seit einem Jahr. In drei Monaten war es fertig. Vierhundert Frauen haben daran gearbeitet. So etwas finden Sie in keinem anderen Lager.«
Abukow nickte überwältigt. »Nirgendwo«, sagte er. »Genosse Kommandant, Sie wünschte man sich in JaZ 451/1.«
»Der Wind trage Ihre Worte sofort in die Taiga, Victor Juwanowitsch !« rief Kabulbekow fast entsetzt. »Ich fühle mich wohl unter meinen zweitausend Weibern! Hyänen sind es, blutdürstige Biester, Halbirre, wenn sie an Männer denken und sich dann gegenseitig belustigen – aber lieber diese zweitausend Sehnsuchtsbomben als hundert von euren Männern! Man muß sie bewundern, diese Weiber; ihr Schicksal tragen sie mit einer inneren Kraft, die selbst mir unerklärbar ist.« Kabulbekow zeigte auf eine junge Frau, die an einem eisernen Schraubstock stand und an einem Metallstück herumfeilte. Einen blauen Arbeitsanzug trug sie, die Haare hatte sie mit einem einfachen Strick zurückgebunden. Ein breitknochiges, wildes Gesicht mit schwarzen, glühenden Augen. »Sehen Sie sich bloß diesen schwarzen Panther an, Abukow !«
»Sie feilt wie ein Mann.«
»Und sie ist die weiblichste von allen Weibern. Fünfzehn Jahre Sibirien. Dschamila Dimitrowna Usmanowa heißt sie. War eine der bekanntesten Huren in Moskau, ein Luxushürchen, ein Teufelchen aus Tadschikistan. Lebte in einer Wohnung mit dicken Teppichen und Fernsehen, einem Marmorbadezimmer und einem Schlafzimmer mit Spiegelwänden und Spiegeldecken. Von allen Seiten sah man sich da. Muß die Männer wild gemacht haben … mich würde es irritieren! Na ja … Dschamila machte den großen Fehler, weiterzuplappern, was ihr zwei Generäle, die jede Woche einmal zu ihr kamen, in ihrem Spiegelbett alles ausgeplaudert hatten. Geheimnisse müssen darunter gewesen sein, Staatsgeheimnisse – man sagt, einer der Generäle war Kommandeur eines Atomraketenstützpunktes. Dschamila wurde verhaftet, ihr Prozeß kam nie an die Öffentlichkeit. Eines Tages, bei einem Transport von Stoffen und Nähmaterial, saß auch sie im Wagen zusammen mit dreißig anderen Frauen und meldete sich bei mir.« Kabulbekow lachte leise in sich hinein. »Nach drei Monaten hatten meine sämtlichen Offiziere in ihrem Bett gelegen, und als sie alle kannte – nur die Offiziere, die einfachen Soldaten sah sie nicht an –, wurde sie sittsam wie eine Nonne, machte einen Kursus in der Schlosserei und stellt jetzt Werkstücke her. Nie hat sie geklagt. Alle zweitausend klagen nicht. Sie sollten einmal am Sonntag hier sein, Abukow; da finden auf dem Sportplatz Wettkämpfe in allen Disziplinen statt.«
»Nur eines fehlt Ihnen noch, Genosse Kommandant«, sagte Abukow, von einer Idee blitzartig getroffen.
»Ich weiß es.« Kabulbekow nickte mehrmals. »Die Banja muß vergrößert werden. Das Badehaus ist viel zu klein …«
»Ein Theater fehlt Ihnen«, sagte Abukow betont. »Ein richtiges Theater mit Schauspiel, Operette und Oper.«
Oberst Kabulbekow sah Abukow an, als habe er beim Anblick der feurigen Dschamila seine Hosen heruntergezogen. Dann blinzelte er mit seinen kleinen Schlitzaugen, verzog den Mund zu einem Lächeln und legte den Kopf etwas zur Seite.
»Ein kleiner
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