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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das Taustück weg und sah Kriwow haßerfüllt an. Bekannt war, jeder im Lager wußte es, daß Sotow alles haßte, was eine akademische Bildung besaß. Da viele Sträflinge zu der verfolgten Intelligenz gehörten, nutzte Sotow jeden Tag die Gelegenheit, seine Abneigung zu beweisen. Die Ursache seines Hasses lag weit zurück. Sotow hatte nie den Wunsch gehabt, in der Roten Armee zu avancieren. Sein Ziel war es vielmehr gewesen, Maschinenbau zu studieren und ein großer Ingenieur zu werden. Aber Wunsch und Neigung sind etwas anderes als Veranlagung und Talent, und hier fehlte es. Sotow kam in Mathematik und Physik nie über eine Vier hinaus – zuwenig angesichts des Ausleseprinzips im Studiensystem der Sowjetunion. Keine Chance, auch nur von einem Platz an der Universität zu träumen. So meldete er sich beim Militär, wurde Berufssoldat. Aber auch hier stockte seine Laufbahn; er blieb beim Grad eines Leutnants hängen. Seine Vorgesetzten schrieben nie Beurteilungen, in denen eine Beförderung befürwortet wurde. Was sollten sie auch schreiben, wenn Sotow seinen Dienst mit hängenden Mundwinkeln verrichtete und als unhöflicher Knoten galt? So war er jetzt 34 Jahre alt geworden, noch immer Leutnant – und seine Versetzung nach Sibirien, in die Hölle der Sümpfe und Urwälder, als Bewacher von Halunken und Vaterlandsverrätern war der Endpunkt seiner flachen Karriere. Er wußte das genau, und sein Haß gegen alle erfolgreichen Akademiker wuchs ins Unermeßliche.
    »Die Hose runter!« sagte er mit einer gefährlich milden Stimme. »Zeig der Genossin Chefärztin einmal, wie ein Physiker unter Ausnutzung der biologischen Gesetze vögeln kann. Und du …« Er trat gegen das Mädchen, das sich wimmernd krümmte, »… steh auf, bück dich nach vorn, weg mit dem Rock. Wie sich's gehört, soll der Hund auf die Hündin steigen.«
    »Sotow!« sagte die Tschakowskaja steif. »Genug! Ilja Kriwow, machen Sie, daß Sie fortkommen zu den anderen …«
    »Er bleibt!« entgegnete Sotow hart. Seine dunklen, großen runden Bärenaugen blickten sie feindselig an. »Im Hospital befehlen Sie … hier aber befehle ich allein!« Er trat wieder gegen das Mädchen, sie stöhnte laut. »Aufstehen! Wie die Hunde macht ihr's jetzt. Auf der Stelle …«
    »Genosse Leutnant«, sagte Morosow heiser, »Ihr Verhalten ist ungesetzlich. Im Paragraph 20 des sowjetischen Strafgesetzbuches steht: ›Eine Bestrafung darf nicht das Ziel haben, körperlichen Schmerz zuzufügen oder die Menschenwürde zu beschneiden …‹ Stimmt es?«
    Sotow starrte ihn an, als habe Morosow ihn in den Unterleib getreten. Dann wandte er sich langsam seitlich zu Larissa: »Genossin Ärztin, nehmen Sie diesen Zivilisten mit! Einen Hirnschaden hat er. Stellen Sie ihn ruhig, bevor er noch mehr Unsinn zitiert und ich ihn wegjage.«
    Er wirbelte herum, weil Kriwow weggehen wollte, faßte ihn, schlug ihm gegen die magere, mit Blut besudelte Brust und warf ihn gegen einen Faßstapel zurück. »Flüchten will er, flüchten, der Genosse Physiker! Weiß er nicht, was man mit Flüchtenden macht?« Mit einem Ruck riß Sotow seine schwere Pistole aus der Ledertasche, die gefürchtete Nagan, drückte mit dem Daumen den Sicherungsflügel weg und schob den Kopf in die Schultern.
    »Hose runter, das Weib bücken nach vorn, und wie die Hunde, meine Lieben …«, kommandierte er, als gebe er auf einem Exerzierplatz Befehle. »Wer schämt sich denn hier? Sind wir nicht großzügig, Herr Dozent: Mit Staatserlaubnis darf gevögelt werden! Paragraph 20 … so wird's gewünscht. Keinen körperlichen Schmerz zufügen! Ist ein Orgasmus körperlicher Schmerz?« Er hob die Pistole und zielte auf Kriwows Herz. »Steig auf!« sagte er gepreßt. Kriwows Anblick machte ihm übel vor Haß.
    »Sotow!« rief die Tschakowskaja schrill. »Irr sind Sie!«
    Kriwow sagte laut und mit fester Stimme: »Nein! Nein! Nein!« Irgend etwas zerriß in Sotows Brust. Irgendwie verließ ihn sein Verstand. Er hörte und empfand nichts mehr, er sah nur noch das blutüberströmte Gesicht und den Mund, der dreimal nein ausstieß und seine Macht degradierte. Die einzige Macht, die ihm geblieben war.
    Der Schuß war trocken. Die Hand Sotows zuckte vom Rückschlag hoch in die Luft. Mit einem Blick in den sonnenüberfluteten Himmel fiel Kriwow nach hinten um, riß ein Faß mit sich und war schon tot, als er die Erde berührte. Das Mädchen fiel auf die Erde und schrie. Morosow stand erstarrt … es war unmöglich, etwas zu tun. Ein

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