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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dann würgte er mich wieder. Ich … ich habe das Stückchen Stoff versteckt, bevor ich später zurück zur Straße lief. Unter einem Stein. Holen Sie es, Wladimir Alexejewitsch . Ein heller Stein ist es, neben einem Busch wilder Brombeeren … Sie müssen ihn finden, nur wenige große Steine liegen da. Das Stück Hemdenstoff ist für mich wertvoller als alles Gold Sibiriens.«
    »Für mich auch, Novellanka «, sagte Morosow rauh. »Es ist für uns alle wie ein Diamant. Noch heute nacht hole ich es unter dem Stein hervor. Welch eine Spur …«
    »Und gib es Victor Juwanowitsch …« Sie schloß die Augen, faltete die Hände über der Decke und atmete ruhiger. Nur die Tränen rannen noch unter den geschlossenen Lidern über die mit blutigen Striemen bedeckten Wangen. »Sag ihm, er soll das Tier suchen … dieses Tier … dieses Tier …«
    Morosow wartete an ihrem Bett, bis sie eingeschlafen war und einer der Ärzte in der Tür erschien und ihm winkte, nun sei es genug, Novella Dimitrowna brauche dringend Ruhe. Er beugte sich über sie, küßte sie auf die Augen und verließ auf Zehenspitzen das Krankenzimmer.
    Unten in der Eingangshalle traf Morosow auf die beiden KGB-Offiziere, die vom Chefarzt kamen und einen eingehenden Bericht mitgenommen hatten, illustriert mit Farbfotos, die man von Tscheljabin und der Tichonowa während der ersten Versorgung aufgenommen hatte.
    »Sie kommen von oben?« fragten sie Morosow ; sie kannten ihn, weil er ihnen auf dem Flur vor Novellas Zimmer begegnet war.
    »Ja«, antwortete Morosow . »Sie schläft jetzt.«
    »Hat sie etwas Neues gesagt?«
    »Nichts Neues. Sie hat kaum eine Erinnerung an die schrecklichen Stunden. Und das ist gut so!«
    Morosow grüßte höflich und verließ schnell das Krankenhaus. Draußen, in der warmen Nacht, unter einer hohen Laterne, überlegte er, was wichtiger sei: Abukow zu suchen oder in den Wald zu fahren, um den Fetzen Hemdenstoff zu finden. Er entschloß sich für den Wald, ging zum Gebäude der Planungs-Hauptabteilung für die Erdgas-Pipeline und hatte Glück: Hinter drei Fenstern schimmerte Licht. Noch größer war sein Glück, als sich herausstellte, daß einer der späten Arbeiter an den Plänen sein alter Bekannter, der Oberingenieur Byrankow , war, ein schon sechzigjähriger Mann, dem nach dem Tod seiner Frau Lydia nur noch die Arbeit lebenswert erschien.
    »Sieh an, der liebe Wladimir Alexejewitsch !« rief Byrankow erfreut. »So spät noch im Gebäude der Sklaverei?! Was drängt Sie an den Tisch?«
    »Ein kleiner Wunsch, Iwan Valentinowitsch .« Morosow lehnte sich gegen das große Reißbrett mit den Detailzeichnungen einer automatisch kühlbaren Rohrstütze. »Sie haben draußen Ihren Wagen stehen?«
    »Ist er im Weg? Na so was! Ist doch Platz genug.«
    »Ich möchte ihn bis morgen früh leihen.«
    »Meinen Wagen?«
    »Sie würden mir sehr helfen, mein Freund.«
    »Man fragt nicht gern, aber wenn es um meinen schönen Wagen geht: Was haben Sie mit ihm vor? Fünf Jahre habe ich auf ihn nach der Zuteilung warten müssen. Eine Schaltung mit Automatik, deshalb.«
    »Ich möchte einen Besuch abstatten.« Morosow zwinkerte vertraut. »Etwas außerhalb. So einen nächtlichen Besuch … verstehen Sie, Iwan Valentinowitsch ?«
    » Morosow ! Nicht wieder erkenne ich Sie. Ha! Dieser heiße Sommer! Kocht die Hormone, ist's so?« Byrankow winkte großzügig. »Nehmen Sie meinen Wagen. Aber wehe Ihnen, es kommt ein Kratzerchen dran. Hier, die Schlüssel.« Er warf sie Morosow zu. »Wann bekomme ich ihn wieder?«
    »In spätestens sechs Stunden. Ein Versprechen ist das.«
    »Nur keine Hast, mein lieber Wladimir Alexejewitsch .« Byrankow kniff ihm ein Auge zu. »Zeitdruck in der Liebe vermindert die Potenz. Immer tickt die Uhr im Hirn mit, das ist nicht gut. Lassen Sie sich Zeit. Die Nacht wird sowieso lang bei mir werden, und dann werde ich auf dem Sofa nebenan schlafen. Wenn Sie mein Wägelchen gegen Mittag vor die Tür stellen, bin ich zufrieden. Also – viel Vergnügen!«
    Morosow war glücklich, Byrankow getroffen zu haben, setzte sich in den Wagen und fuhr hinaus auf die Straße nach Nordosten.
    Obwohl es sehr dunkel war, die Nächte des Neumondes begannen, fand er die Stelle des Überfalls sehr schnell, denn die Miliz hatte mit Kreide auf dem Straßenbelag – hier war es noch festgewalzter Basaltsplit – die Lage von Tscheljabins Auto gezeichnet. Außerdem lag der Baumstamm noch am Straßenrand, mit dem das Untier die Fahrbahn gesperrt

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