Ein Kreuz in Sibirien
erzählen kann! Alles erlebt man noch einmal mit: Den Kampf gegen den Mongolen Ülürü … rumbum … rumbum … in der siebten Runde viermal an den Kopf, da fiel er um wie ein gebolzter Ochse! Ha, ich höre es noch wie heute aus dem Radio! Und nun sitzt Maxim vor mir … Victor Juwanowitsch , hock dich dazu und nimm ein Stück Kuchen. Ein drei Zentimeter dickes Brett hat er vorhin mit einem Hieb zerschmettert. So einen brauchen wir bei den Verhandlungen mit dem Hauptlager in Tjumen. Da wird kein hochnäsiger Genosse mehr widersprechen. Volle Kisten bekämen sie an den Kopf!«
Smerdow war außer sich, trank auch noch vier Kognaks aus Armenien und schwankte dann mit glasigen Augen nach Hause. Zwar beschimpfte ihn die Smerdow a als Säufer und Mistkerl, aber Lew Konstantinowitsch war viel zu selig über diesen Nachmittag, um beleidigt zu sein.
»Maxim bringe ich mal mit«, sagte er und legte sich ins Bett. »Der holt Atem, und du hängst ihm unter der Nase. Auch du Nilpferd …« Dann schlief er sofort glücklich ein, während die Smerdow a noch lange mit dem Nilpferd zu tun hatte und sogar weinte.
»Die Zukunft ist rosig«, sagte unterdessen Bataschew zu Abukow und breitete ein Papier aus, das er auf dem Güterbahnhof beschrieben hatte. »An Waggons stehen zur Zeit auf den Wartegleisen: Kücheneinrichtungen, Schuh- und Lederwaren, Elektromotoren, Roheisenbänder, Stahlstäbe und ein Gemischtwaggon mit Mehl, Milchpulver, Grieß, Nudeln und Graupen. Die anderen sind für uns nicht geeignet: Zement, Verfüllkies , Kalk, Traktoren, Kranteile, Asbestisoliermatten … alles für die Erdgasleitung.«
»Das hört sich gut an«, sagte Abukow vorsichtig, »aber du kannst doch für unser Theater keine großen Möbelstücke klauen.«
»Einem unbeugsamen Willen stellt sich nichts entgegen.« Bataschew rauchte eine von Smerdow s teuren kaukasischen Zigarren und sah dem dicken, weißen Qualm nach, der träge zur Zimmerdecke schwebte. »Ist es nicht so, daß das Theater alles gebrauchen kann?«
»Alles. Man kann alles für die Bühne umfunktionieren.«
»Morgen früh werden wir um einiges reicher sein.« Bataschew rieb sich die riesigen Hände. »Das größte Problem wird werden, die guten Sachen ins Lager zu bringen. Die Lastwagen stehen nicht so herum wie die Waggons. Aber keine finstere Miene, Brüderchen – Maxim Leontowitsch wird es schon schaffen!«
Am Abend aßen sie wieder in einem einfachen Restaurant, fuhren darauf mit dem Bus zum Güterbahnhof, und Bataschew zeigte Abukow seinen Wirkungskreis. Sie wanderten über die verzweigten Gleisanlagen, standen vor den interessanten Waggons und betrachteten die verplombten schweren Schiebetüren.
»Alles versiegelt«, sagte Abukow . Bataschew winkte ab.
»Eine Kleinigkeit. Mit der Lupe wird man nicht entdecken, daß ich die Plombe gelöst habe. In zwei Stunden geht es los.«
Sie wanderten weiter über die Gleise und blieben vor vier Waggons stehen, die abseits aller anderen rangiert waren. Bataschew klopfte gegen eine der Türen. »Umzugsgut! Für die Neusiedler in Sibirien. – Wir werden für das Bühnenbild Sofas, Stühle, Tische, Sessel und Schränke haben.«
»Wir können doch nicht die Umsiedler bestehlen, Maxim Leontowitsch !« sagte Abukow voller Skrupel. Sein Gewissen rührte sich. Du sollst nicht stehlen … das siebte Gebot. O mein Gott, dachte er und sah an Bataschew vorbei über das Gewirr der Gleise. Welch einen Priester hast Du nach Sibirien schicken lassen! Das Gelübde der Keuschheit bricht er, und nun duldet er auch noch das Stehlen. Nimmst Du die Entschuldigung an, daß es nur für meine Gemeinde ist? Ist damit alles entschuldbar? Von Tag zu Tag wächst der Berg meiner Schuld – wie soll ich ihn je vor Dir abtragen, mein Herr? Ich lebe in der Sünde, um Dein Wort, Deinen Namen zu verkünden … Herr, hilf mir, erkenne an, daß Sibirien die Gesetze auf den Kopf stellt, auch die Gesetze der Moral … Ich will eine Kirche bauen für die toten Seelen … sieh weg, Herr, mit welchen Mitteln ich es tun muß.
»Was ist?« fragte Bataschew und schnupfte wieder laut in sein Taschentuch. »Wer stiehlt denn hier? Es ist doch nur das übliche: Auf dem Weg in die Ferne verschwinden einige Dinge. Damit rechnet man. Vor Freude wird man weinen, daß überhaupt etwas angekommen ist. Victor Juwanowitsch , ein weicher Mensch in der Taiga klebt sofort am Baum! Härter als die Natur selbst mußt du sein – oder Sibirien frißt dich auf, Stück für Stück, und du
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