Ein Kreuz in Sibirien
Lastwagenfahrer aus Kirow, du bist Stephan Olrik , Pater Stephanus Olrik , Pater der Kongregation vom Heiligen Kreuz in Rom. Was machst du nur aus dir, Stephanus? – Aber er dachte auch: Ich liebe sie, ich kann nicht anders, ich liebe sie … Verdammt mich alle, werft mich nachher in die Hölle … ich liebe sie!
Er stürmte durch den Eingang, den Flur hinab, riß die Tür zu Larissas Wohnung auf und sah sie am Fenster stehen, die Sonne glänzend auf ihrem lackschwarzen Haar, das Licht in ihrem Lächeln, das Funkeln des Glücks in ihren Augen … Weit breitete sie die Arme aus, und mit einem Aufschrei warfen sie sich einander entgegen, umklammerten sich, preßten sich die Luft aus den Lungen und stammelten Silben und Töne, die keinen Sinn mehr ergaben.
In einem Krankenzimmer auf dem gleichen Flur saß Professor Polewoi am Bett eines Asthmatikers und hielt ihn fest. Der Kranke rang nach Luft, die Augen quollen ihm aus den Höhlen, Todesangst verzerrte sein Gesicht. Eine andere Luftnot war's als bei Abukow und Larissa.
»Er ist gekommen«, sagte Polewoi und drückte den Röchelnden an sich. »Gleich ist er bei dir, Bruder. Unser Pope ist gekommen. Nein, du stirbst noch nicht. So schnell stirbt man nicht. Ich sag dir's, wenn's soweit ist … Heute ist es nicht … Gleich wird Victor Juwanowitsch bei dir sein und mit dir beten …« Und der Kranke lächelte und wurde ruhiger.
Als Abukow endlich nach zwei Stunden an das Bett kam, war der Kranke tot. Erstickt.
Er wollte ihm den letzten Segen geben, aber Polewoi drängte ihn weg vom Bett, sah ihn mit einem langen abgründigen Blick an und spuckte vor Abukow aus.
Bataschew , der Boxer, kannte den Weg zu dem Lagerkommandanten Rassul Sulejmanowitsch Rassim noch so gut, als sei er erst gestern zu ihm befohlen worden zu einer der vielen Bestrafungen, die er damals ertragen hatte wie Moskitostiche. Jetzt hieb er mit der riesigen Faust gegen die Tür, riß sie auf und trat ein.
Rassim war in Unterhemd und Hose, aus seiner Mittagsruhe aufgeschreckt durch den dämlichen Telefonanruf des Unterleutnants an der ersten Sperre. Aber er war nicht überrumpelt von Bataschews Kommen, denn er hatte ihn schon vom Fenster aus über den Platz laufen sehen. Und die wenigen Minuten, die Bataschew bis zu ihm brauchte, hatte Rassim in einer seltsamen elegischen Stimmung verbracht: Die zurückliegenden Jahre kamen wieder in sein Gedächtnis, und erschreckt stellte er fest, daß Bataschew besser dran war als er. Der Boxer war ein freier Mann, lebte irgendwo zufrieden in der Weite des Landes. Er jedoch, der Oberstleutnant Rassim , lief immer noch in der Enge des Lagers herum, gefangen wie seine Gefangenen – nur die Uniform unterschied ihn von ihnen und die Befehlsgewalt. Sonst war er nichts als ein Teil des Lagers – wie Fahnenstange, Wachtturm, Kommandantur oder Wäscherei, wie Palisadenwand und Stacheldraht. Rassim , wo ist dein Leben geblieben …
Nun stand Bataschew vor ihm, strotzend vor Kraft und Lebensfreude, noch immer mit seinem Sommerschnupfen und seiner Knollennase. Er lachte dröhnend, trat hinter sich die Tür zu und sagte: »Es ist Sibirien nicht gelungen, mich zu fressen.«
»Es hätte dich auch ausgekotzt«, antwortete Rassim , griff nach seinem Hemd und zog es über den Kopf. »Nichts Unverdaulicheres als dich gibt es!«
Bataschew grinste beifällig, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Rassim betrachtete ihn, als uriniere er mitten ins Zimmer. »Willst du dich hier einpflanzen?« fragte er.
»Niemand kann vermeiden, daß wir uns jetzt öfter sehen«, sagte Bataschew voll tiefer Freude. »Ich bin ein Bestandteil des neuen Theaters geworden.«
»Ein Grund, diese Albernheit sofort zu verbieten!« Rassim setzte sich jetzt ebenfalls und zog seine schönen, weichen Stiefel aus Juchtenleder an.
»Für die Ausstattung bin ich zuständig und habe einen ganzen Wagen voll Möbel mitgebracht. Meine eigenen Möbel, Genosse Kommandant. Eine Stiftung für die Kultur. Außerdem bin ich die Nummer neun der Künstlergewerkschaft ›Theater Die Morgenröte‹ geworden, also eine halboffizielle Person. Auf uns ruht das Wohlwollen der hohen Genossen in Tjumen, Perm und Moskau. Ein guter, ein kluger, ein ideenreicher Mensch ist Abukow – aber zu sanft, zu nachgiebig, zu höflich vor allem. Einen Partner wie mich brauchte er, nun hat er ihn. Bei mir gibt es keine faulen Tricks, ich kenne sie alle! Wer mich in den Hintern kneifen will, hat vorher schon meine Stiefelspitze im
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