Ein Kreuz in Sibirien
klaute er. Und nie war was zu beweisen. Nie! – Oh, Rassim wird sich freuen!«
Bataschew stieg aus, reckte sich und starrte den Dicken an. »Kasimir Kornejewitsch !« bellte er. »Es gibt ihn noch, nicht geplatzt ist er, der Freßsack. Nur fetter ist er geworden, noch widerlicher …« Er sah sich um, nickte, als er die Kommandantur sah, und rieb sich die riesigen Hände. »Und jetzt gehe ich zu Rassul Sulejmanowitsch und umarme ihn.«
Gribow brauchte ein paar Momente, um sich von diesem Auftritt zu erholen. Er rang nach Atem, lehnte sich an die Wand des Magazins und bot, wie so oft, das Bild eines Todkranken, den gleich der Schlag trifft. »Begreift man das?« stotterte er. »Victor Juwanowitsch , warte noch einen Augenblick, nur ein Minütchen. Gleich siehst du Bataschew durch das Fenster der Kommandantur fliegen.«
Aber nichts geschah. Hinter Rassims Fenster blieb es unheimlich still. »Sie haben sich gegenseitig umgebracht«, sagte Gribow dumpf. »Haben sich gesehen, und wie der Blitz ist es geschehen. Mein lieber Abukow , können wir die Listen vergleichen?«
»Es sind für uns dreiundzwanzig Hühnchen und vierzig Kilo Rindfleisch abgezweigt«, sagte Abukow leise. »Und ein ganzes Tönnchen beste Butter. In Surgut war ein Kühlzug angekommen, voll mit Schweinen, Rindern und Lämmern. Smerdow weiß nicht, was das soll. Muß ein Buchungsfehler sein. Ganz verwirrt ist er. Nach den Zuteilungslisten reicht er damit bis zum Beginn des Winters.«
Gribow sah Abukow ungläubig an, begriff dann die ungeheure Not des Kollegen Smerdow in Surgut und seufzte tief. »Man sollte einmal mit dem lieben Lew Konstantinowitsch sprechen«, sagte er. »Eine Schande, wenn das gute Fleisch auf diese Weise altert. Da du gerade von dem Überfluß redest: Auch hier war der Teufel los. Im Block III haben sie gefressen wie im Grand-Hotel. Gulasch, Schokolade, Hühner. Und keiner will wissen, woher es kam. So eine Bande ist das!« Gribow flüsterte an Abukow s Ohr: »Überall Verräter, mein Lieber. Überall! In jeder Ecke lauert einer. Harten Zeiten gehen wir entgegen, Victor Juwanowitsch …«
Von der Autowerkstatt kam der finstere Rakscha herüber. Auch Sakmatow , der winzige Schmied, lief herbei. Ihm folgte der Leiter der Schreinerwerkstatt, mit dem Plan der Bühne, den Abukow gezeichnet hatte.
»Ins Haus!« rief Gribow , als er die drei bemerkte, und zerrte Abukow ins Magazin. Er warf die Tür zu und riegelte sie ab. »Keine Ruhe werden wir bekommen. Seit vier Tagen tobt ein Krieg zwischen den Theaterbauern. Sakmatow weiß alles besser, und Rakscha behauptet, man habe ihm ein Getriebe geklaut. Und der Schreiner will einen Orchesterraum bauen und einen Rundhorizont. Sein Gehirn hat der Arme weggehobelt!«
Es hämmerte bereits an der Tür, Fäuste hieben gegen das dicke Holz. Dazwischen kreischte Sakmatows Stimme: »Aufmachen! Gribow , du Mastsau, schließ auf! Wo ist Victor Juwanowitsch ? Hören Sie uns, Abukow ? Wir brauchen Sie dringend …«
»Keinen Ton«, zischte Gribow . »Erst unser Geschäft. Aus ihren Klauen kommst du nicht heraus!«
Trotzdem öffnete Abukow wieder die Tür, beruhigte die Theaterbesessenen und vertröstete sie auf später. Dann arbeitete er mit Gribow die Transportlisten durch.
Mustai hatte unterdessen mit dem Abladen der Möbel begonnen. Sprachlos starrten die Strafgefangenen auf das, was Bataschew geklaut hatte. Selbst Mustai , vom sibirischen Leben gehärtet, staunte von einem zum anderen Mal, als das grüne Plüschsofa zum Vorschein kam und ein persergemusterter Teppich, ferner geblümte Gardinen, Polstersessel mit geschnitzten Lehnen und der Küchenschrank aus poliertem Birkenholz.
»Es ist wie im Traum«, sagte ein Sträfling, der einmal Optiker gewesen war. Und der Bäcker Tschalup setzte sich auf das Sofa, klatschte in die Hände und rief mit Tränen in der Stimme: » Marussja , meine Pantoffeln! Und das Tonpfeifchen. Feierabend ist!« Mit dem grünen Sofa trugen sie ihn in die Halle, die sichtbar zum Theater wurde. Tschalup weinte wie ein Kind.
Abukow verließ die Wohnung Gribows nach einer knappen Stunde durch den Hinterausgang, zur Küchenseite hin, und rannte hinüber zum Hospital. Er wußte, was er tat. Beim Laufen sagte er sich immer, bei jedem Schritt, der ihn Larissa näher brachte: Wahnsinn ist es! Wahnsinn, Wahnsinn! Du wirst die Schuld nicht mehr ertragen können, du kannst sie nicht verantworten, du bist ein Priester! Hörst du, ein Priester bist du! Du bist nicht Abukow , der
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