Ein Kreuz in Sibirien
an.
» Novella Dimitrowna liegt heulend im Bett«, sagte Morosow knapp. »Aber sie wird es überwinden. Ich habe ihr alles gesagt. Die Tschakowskaja und Sie – nicht begreifen wollte sie es. Ist es ihr übelzunehmen? Ich begreife es ja auch nicht!«
Er legte auf, ehe Abukow eine Antwort fand.
Abukow nickte und schloß die Augen. Morosow s Ohrfeige spürte er über die weite Entfernung hinweg. Und er empfand sie als gerechte Tat.
Erstaunliche Dinge geschahen: Mustai Jemilianowitsch besichtigte nicht nur gemeinsam mit Bataschew den im Schuppen IX abgestellten und beladenen Lastwagen der flotten Witwe Grigorjewa – er übernachtete sogar in Bataschews buntbemalter Kate, lag neben ihm im breiten Bett und teilte mit ihm Brot, Käse, Gurken, Zwiebeln und Wein. Zu später Stunde sangen sie zweistimmig Steppenlieder und Reiterballaden, umarmten sich, küßten sich die Wangen und versicherten sich ewige Freundschaft. Zum Zeichen der Versöhnung ließ Mustai sogar seinen Dolch in Bataschews Sandsack stecken und sagte feierlich:
»Wenn du oder ich ihn jemals wieder herausziehen, dann nur zum Zweck, den Freund zu schützen.«
Bataschew war so gerührt, daß er in Tränen ausbrach, von seiner schweren Jugend erzählte und – als er erfuhr, wie Mustai s Vater den kleinen roten Sohn behandelt hatte – in glühenden Worten diesen unwürdigen Vater verfluchte. Darauf weinten sie beide und fielen nebeneinander betrunken aufs Bett.
Pünktlich aber warteten sie dann am frühen Morgen an der Straßengabelung auf die Kolonne der Transportbrigade III. Abukow bremste seinen Kühlwagen Nummer 11, stieg schnell aus und lief hinüber zu dem abseits stehenden Wagen. Mustai und Bataschew grinsten ihm fröhlich entgegen. Die Transportbrigade – es waren außer Abukow noch neun Wagen – ratterte weiter nach Norden. »Es ist also doch möglich, daß ihr euch vertragt!« rief Abukow und blickte in die unschuldsvollen Gesichter.
»Uns nicht vertragen?« rief Bataschew fast beleidigt. »Herzensfreunde sind wir, nicht wahr, mein guter Mustai ?«
»Kaum bessere gibt es!« Mustai nickte mehrmals. »Maxim Leontowitsch liegt in einer Falte meiner Seele.«
Abukow verzichtete darauf, Näheres zu erfahren, rief: »Ihr folgt mir dichtauf!«, rannte zu seinem Kühlwagen zurück und fuhr der Kolonne nach. Mustai gab Gas, ließ den schweren Dieselmotor aufbrüllen und erreichte in einem Höllentempo den Anschluß. Bataschew faßte sich mit beiden Händen an den dicken Kopf: »Lieber dreißig Runden boxen als mit dir fahren!« brüllte er. »Oje, oje … wir erleben den Mittag nicht mehr. Mit dem Motor fliegen wir in die Luft. Habe ich es nicht geahnt? Eine Folter ist es, eine wahre Folter …«
Später beruhigte er sich, blickte nach links und rechts in die Landschaft und erinnerte sich daran, wie er nach seiner Begnadigung diesen Weg in umgekehrter Richtung gefahren war. Damals gab es hier noch keine breite ausgebaute Straße, sondern nur einen ausgefahrenen Weg, den man auf den Spezialkarten als ›Winterfahrbahn‹ bezeichnete, weil er die einzige Verbindung zwischen Surgut und der geplanten Pipeline war; eine dünne Lebensader, die weite Teile des noch unbelebten Sibirien mit frischem Blut füllen sollte. Mit frischem Blut … im wahrsten Sinne des Wortes.
Im Lager traf die Transportbrigade gegen zwei Uhr nachmittags ein. Und hier begannen nun die Schwierigkeiten. Schon bei der ersten Sperre im äußeren Lagerbereich begriff der die Kontrolle befehlende Unterleutnant nicht, wieso man aus Surgut zehn Lastwagen gemeldet hatte, aber elf die Sperre passieren wollten. Mirmuchsin war ihm natürlich bekannt, aber bisher war er nur mit einem grünlackierten Wunderding von Motorrad unterwegs gewesen, nie mit einem Siebentonner. Wieso sollte plötzlich so viel Limonade herumgefahren werden?
Bataschew kletterte aus der Fahrerkabine, streckte die Knochen, rollte die Muskeln und hüpfte auf und ab wie bei Lockerungsübungen im Boxring. Das sollte auf den Unterleutnant Eindruck machen.
»Zehn Lkw sind gemeldet, elf sind gekommen«, sagte der Unterleutnant stur. » Nitschewo !«
»Wir haben unterwegs gejungt«, rief Bataschew . Der böse Blick des angehenden Offiziers zeigte ihm, daß er auf einen humorlosen Menschen getroffen war. Er winkte deshalb, hob die Plane an einem Zipfel hoch und ließ den Unterleutnant in den Wagen blicken. »Na, was sieht man da? Möbel! Meine Möbel, Genosse Unteroffizier. Eine Spende für das neue Theater. Will man
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