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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Bühne und rühren sich nicht. Und morgen früh hacken sie wieder in die gefrorene Erde, zehn Stunden lang, sechs Tage lang, in zerrissenen Mänteln und Hosen, hungernd und frierend.«
    »Wer kann das ändern, Abukow ? Wir nicht!« Kabulbekow hob die Schultern. »Wie weit, wie endlos ist dieses Land Sibirien – was gelten da ein paar Stimmen, die gegen den Wind rufen! Ihr Ton verweht, nicht mal die Wipfel der Bäume erreichen sie – wie sollen sie da in Perm oder gar in Moskau gehört werden? Wer soll sie hören? Die Verwaltung? Stellen Sie sich eine Turbine vor, die sich rechts herum dreht, und schreien Sie sie an: Dreh dich links herum! – Was wird sie tun? Sie dreht sich weiter nach rechts.«
    »Aber die Turbine hat einen Schalter, den man drücken kann …«
    »An den Schaltern sitzen andere Genossen als wir, Victor Juwanowitsch !« sagte Kabulbekow ernst. »Damit muß man leben können. Aber wir wären keine Russen, wenn wir aus diesem Leben nicht ein Eckchen abzwackten, wohin man sich verkriechen kann. Und das werden wir tun.«
    Die Atmosphäre bei dem Abendessen, das Rassim nach dem Theater im Offizierskasino gab, war wortkarg und feindselig. Dr. Owanessjan war eingeladen, Larissa Dawidowna , Wolozkow . Auch Abukow gehörte zu den Gästen. Rassim hatte zu ihm gesagt: »Sie kommen auch! Ihren Kalbsrollbraten wird es geben. Mich fangen Sie nicht ein!« – Von den zwei Pfund Pralinen dagegen sprach er nicht.
    Den Ehrenplatz an der weißgedeckten Tafel hatte natürlich Oberst Kabulbekow . Drei Gefreite in weißen Jacken bedienten, als sei man in einem Grandhotel. Vier Soldaten saßen in einer Ecke und spielten auf Balalaikas die Tischmusik. In tönernen Leuchtern, von den Häftlingen getöpfert und bemalt, brannten lange, rote Kerzen. Sehr feierlich sah das alles aus, und Nina Pawlowna hatte ein Mahl zusammengestellt, das im Moskauer Rossija -Hotel erstaunte Begeisterung erzeugt hätte. Aber über dem Ganzen lag spürbar drohend eine explosive Spannung.
    Sie löste sich auch nicht, als nach dem Essen duftender Tee und Wodka gereicht wurde, die Offiziere sich mit zackigem Gruß verabschiedeten und Rassim , Kabulbekow , Wolozkow und Abukow allein blieben. Die Tschakowskaja und Dr. Owanessjan entschuldigten sich; die Schwerkranken im Hospital mußten noch besucht werden. Rassim nickte ihnen böse zu, zumal Larissa vorher gesagt hatte: »Mehr Betten brauchen wir. Wenn noch weitere Erfrierungen kommen …« Und Rassim hatte geantwortet: »Legen Sie sie auf den Boden! Ihr Hospital hat eine Menge freien Platz. Sind nicht die Gänge leer, Ihre Wohnung und Dshuban s Wohnung? Im Krieg haben die Verwundeten auf der Erde, in Kellern und in Granattrichtern gelegen. Und wir haben Krieg! Krieg gegen den Winter!«
    Rassim bot Zigarren an, ging dann unruhig hin und her und wartete darauf, daß irgend jemand ihm Anlaß gab, seinen Ärger auszuspucken.
    Ausgerechnet Wolozkow war es, der nach einem Schluck Wodka sagte: »Stellen wir fest: das ›Theater Die Morgenröte‹ wird als selbständige Institution aus dem Lagerdienst ausgegliedert.«
    Rassim , gerade am Ofen stehend, fuhr wie ein gereizter Stier herum. » Wer stellt das fest?«
    »Ich«, sagte Wolozkow mit erstaunlicher Ruhe und Festigkeit.
    »In die Lagerordnung haben Sie nicht einzugreifen! Zur Schulung sind Sie hier, zu sonst nichts! Politische Umerziehung ist Ihre Aufgabe …«
    »Meine Aufgaben kenne ich genau, Genosse Kommandant. Aber – erstaunen Sie nicht – Ihre Aufgaben auch! Kein Lager ist so weit entfernt in der Einsamkeit, als daß Moskau es nicht im Blick hätte.«
    »Wie eine Drohung klingt das«, sagte Rassim und drückte das Kinn an. »Meine Pflicht habe ich immer getan.«
    »Wir alle tun sie, Rassul Sulejmanowitsch «, ließ sich Kabulbekow vernehmen. »Unter uns sind wir jetzt, ganz allein, nur Vertraute: Warum hassen Sie die Menschen so abgrundtief?«
    »Warum legen sich die einen in eine blühende Wiese und riechen an den Blüten, und ein anderer mäht die Blüten ab?«
    »Sie mähen nur«, sagte Wolozkow hart.
    »Vom Riechen ist noch keine Kuh satt geworden, wohl aber vom Heu.«
    »Und welche Kuh füttern Sie?« fragte Kabulbekow .
    »Die heilige Kuh der ›Zentralverwaltung für den Bau von Betrieben der Erdöl- und Erdgasindustrie der UdSSR‹, wie es amtlich heißt. Von 4.465 Kilometern Rohrleitung habe ich meine Portion zu verantworten: Einschlag der Trasse, Trockenlegung der Sümpfe, Ziehen der Verlegegräben , Bau der Arbeitersiedlungen,

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