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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einen Schritt vor den anderen zu setzen. Chirurg Dr. Owanessjan hatte Tränen in den Augen und klatschte heftig, als der Vorhang über die Schlußapotheose fiel. Rassim, der vor ihm saß, fuhr wütend herum. »Sie Idiot!« zischte er. »Sind Sie Lagerarzt oder Lagerinsasse?!«
    Oberst Kabulbekow pendelte zwischen Begeisterung und Entsetzen. Seine ›Weiber‹ waren fabelhaft gewesen, vor allem im Orchester gaben sie den Ton an – aber auch ihm wurde es nach dieser Aufführung klar, daß es einen nächsten Theaterabend nicht mehr geben würde, wenn nicht sofort etwas geschah. Mit Gespenstern konnte man nicht singen, und Halbtote können keinen Walzer tanzen.
    Noch während der Vorhang ein paarmal aufging und sich die Darsteller verbeugten, am Ende aller Kraft, mit zitternden Knien, nur noch aufrecht gehalten von dem inneren Befehl: Bleib stehen, fall nicht um, gib Rassim nicht den Triumph und rolle von der Bühne – beugte sich Kabulbekow zu Rassim hinüber und fragte: »Genügt Ihnen die Demonstration?«
    »Vollkommen!« Rassim bleckte die kräftigen Zähne. »Wer jetzt noch tanzen kann, hat seine Kräfte draußen bei der Arbeit gespart.«
    »Wir denken in verschiedenen Richtungen, Rassul Sulejmanowitsch !«
    »Mein Auftrag lautet: Einsatz aller Arbeitskräfte zum Wohle des sowjetischen Aufbaues! Verblüfft sehe ich, daß es da noch Reserven gibt.« Er blickte Wolozkow feindselig an, der gleich nach dem Ende des Stückes hinter die Bühne gegangen war und nun zurückkam. »Sieh da, der Theaterchef vom KGB! Schluchzen Sie auch wie Dshuban Kasbekowitsch ?«
    Hinter ihnen marschierten die dreihundert Strafgefangenen hinaus, wie immer von Soldaten mit Hunden flankiert. Abukow , im schwarzen Anzug und weißem Hemd, ging zu Larissa Dawidowna , die an der Bühnentreppe wartete; sie drückte ihm die Hand und flüsterte: »Nur wer es wußte, konnte das Kreuz sehen. Wunderbar hast du gepredigt. Angst hatte ich nur vor Wolozkow … er saß da, ließ die Mundwinkel hängen und schien zu lächeln. Victor, ein kluger Mensch ist er. Übersieh ihn nicht …«
    »Wenn das Wetter es zuläßt, fliege ich nach Perm zur GULAG«, sagte Wolozkow unterdessen zu Rassim , ohne auf dessen Gemeinheit einzugehen. »Mag es Ihnen passen oder nicht, Genosse Oberstleutnant – dieses Theater wird ein wichtiger Bestandteil des Aufbaues werden.«
    »Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?« rief Rassim grob. »Schlimm genug, daß man einen KGB-Offizier fragen muß, ob er die Ordnung repräsentiert oder mit den Systemfeinden sympathisiert.«
    »Und welche Sinnlosigkeit, darauf eine Antwort zu geben«, sagte Wolozkow kalt. »Meine Aufgabe ist mir bekannt.«
    »Mir die meine auch!« bellte Rassim .
    »Dann sind wir uns einig.« Wolozkow drehte sich brüsk um und ging hinter die Bühne zurück. Schwer atmend vor Erregung wandte sich Rassim an den bisher schweigsam zuhörenden Kabulbekow .
    »Nicht zu vermeiden ist es, darüber eine Meldung zu machen«, keuchte er. »Ihre Meinung, Belgemir Valentinowitsch ?«
    »Ist Ihnen Don Quichote bekannt, Rassul Sulejmanowitsch ?«
    »Nein!«
    »Don Quichote ist eine klassische Romanfigur des spanischen Dichters Cervantes.«
    »Im sibirischen Winter und bei einem Arbeitssoll für die Rohrleitung interessieren mich keine spanischen Schreiberlinge!«
    »In einer Szene des Romans reitet Don Quichote gegen Windmühlenflügel an und kämpft mit ihnen, als seien sie ein fremdes Heer …«
    »Ein Vollidiot!«
    »Eben!« Kabulbekow nickte und lächelte mild. »Sie haben es erkannt, Rassul Sulejmanowitsch …«
    Rassim zögerte einen Augenblick, überlegte noch schnell genug, daß Kabulbekow einen Dienstgrad über ihm stand und es deshalb unvorteilhaft wäre, ihm eine Ohrfeige zu geben, preßte dann die Lippen zusammen und stapfte davon. An der Bühnentreppe traf er auf Abukow und Larissa Dawidowna .
    »Kennen Sie Don Quichote?« fragte er, ruckartig vor ihnen stehenbleibend.
    »Ja«, antwortete Abukow verblüfft.
    »Das sind Sie!« schrie Rassim . »Aber Ihre Windmühlen blase ich weg!«
    Verständnislos starrten Abukow und die Tschakowskaja dem davoneilenden Rassim nach. Erst als Wolozkow und Kabulbekow zu ihnen traten, schüttelten sie ihre Verblüffung ab.
    »Wieder muß ich Ihnen gratulieren, Victor Juwanowitsch «, sagte Kabulbekow und klopfte ihm mit beiden Händen auf die Schultern. »Zum erstenmal habe ich singende und tanzende Leichen gesehen. Wer's nicht erlebt hat, glaubt es nicht.«
    »Sie liegen jetzt auf der

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