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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gezeichnet; die Landkarte des Gebietes hinter dem Ural für das Jahr 2020: Da wird West- und Ostsibirien so dicht besiedelt sein mit Städten, Dörfern und Gemeinden wie der in unserer Zeit am dichtesten bevölkerte europäische Teil der Sowjetunion. Sibirien, der Zukunft herrlicher Lenz, sagte der Dichter und Nobelpreisträger Pablo Neruda. Ein Lenz, der schon die ersten Blüten treibt …
    Das ist das eine Gesicht Sibiriens, das Bild atemberaubender Zukunft. Das andere Sibirien, das unsichtbare Gräberfeld der Sträflinge, das Land der Tränen – das war Abukows Ziel.
    In Perm hatte er sich bei der Zentrallagerverwaltung gemeldet, was gar nicht so einfach war. Wer eine russische Verwaltung kennt und russische Beamte, der meckert nicht mehr über so harmlose Dinge wie über einen Postbeamten, der an seinen Schalter ein Pappschild hängt ›Vorübergehend geschlossen‹ und dahinter, für alle Wartenden sichtbar, ein Käsebrot verzehrt und eine Salzgurke hinterherschiebt. So einmalig wie Sibirien ist auch die sowjetische Bürokratie – sie ist die vollkommenste der Welt. Mit einem sowjetischen Beamten zu verhandeln – Genossen, da muß man vorher seine Nerven dick mit Schmalz einschmieren. Abukow erlebte es mit der Geduld eines Esels, als man ihn von Dienststelle zu Dienststelle schickte, treppauf, treppab, ein paarmal quer durch die Stadt. Und überall mußte er lange warten, da ja Beamte grundsätzlich überlastet sind. Endlich erfuhr er, daß in Perm für ihn niemand zuständig sei. Sein Problem könne man nur in Tjumen lösen, wo er ja auch seine Stellung antreten wolle.
    Das kostete alles in allem drei Tage. Abukow übernachtete diesmal in einem staatlichen Männerheim, das man für durchreisende Sibirienarbeiter gebaut hatte. Wenigstens gab man ihm eine Bescheinigung, daß er sich bei der Zentrale gemeldet habe, und man stellte ihm einen Gutschein für die Übernachtungen aus. So erhielt er ein kostenloses Bett und täglich zweimal eine Schüssel Suppe oder dicke Bohnenkascha, ein schwarzes Brot, ein Döschen Margarine und einen Kunststoffbecher voll Mehrfruchtmarmelade.
    »Bei diesem Fressen kommt nicht mal ein richtiger Furz zustande!« brüllte der Genosse, der das Bett neben Abukow bezogen hatte. »Fängt schon gut an, das Paradies Sibirien. Komm, wir gehen in die Stadt und kaufen uns ein Huhn. Wer uns das kocht? Es gibt Weiber genug, die für ein Hühnchen Küche und Bett zur Verfügung stellen!«
    Abukow fand, daß dies nicht seine Richtung sei, ließ sich einen Idioten nennen und begnügte sich mit der Bohnenkascha.
    Von Perm nach Tjumen flog Abukow ebenfalls mit einer Antonow. Na, wer sagt's denn? Ist Sibirien nicht modern? Früher mußte man sich unter Lebensgefahr durch den Ural schlagen, über Pässe und reißende Flüsse hinweg, durch Urwälder und an Abgründen vorbei. Heute sitzt man warm in einem Sesselchen, blickt aus dem ovalen Fenster zur Erde und sieht das wilde Land unter sich vorbeiziehen. Sogar ein Mittagessen bekommt man. Nudeln mit Gulasch. Und ein Bierchen. Für ein paar Kopeken sogar einen Wodka. Eisgekühlt, Genossen. Auf mein Wort! Ist das ein Leben! Und bedient wird man, als sei man ein Genosse vom Zentralkomitee der Partei. Wenn das so weitergeht, ihr Lieben, kann man sich an Sibirien gewöhnen.
    In Tjumen, der uralten Stadt, um die herum man eine hochmoderne Stadt gebaut hat mit Kulturpalast, Theater, Verwaltungshochhäusern, Sportstadien, Erholungsparks, Wohnsiedlungen, Schulen, Akademien und Forschungsstätten, Geschäften und Kaufhäusern und sogar einem Modeinstitut, das jedes Jahr unerschwingliche sibirische Modellkleider veröffentlichte – in Tjumen war alles anders als in Perm.
    In der Einsatzbehörde für die Pipeline, Abteilung Transportwesen, empfing man Abukow, als habe er bereits vor seinem Eintritt in das Büro gegen die Tür gepinkelt. Der Genosse Abteilungsleiter, dem schätzungsweise über tausend Lastwagen unterstanden, war ein gelbgesichtiger Mensch, dem das Magenleiden aus den Augen schaute. Er betrachtete Abukow, betrachtete den Paß, betrachtete die Bescheinigung aus Perm und sagte dann mißmutig: »Was soll ich mit Ihnen, he? Alle wollen Autos fahren! Was ich brauche, sind Hände, die zupacken. Die Dinge fliegen nicht von allein auf die Ladefläche. Gas geben kann jeder – ich brauche Muskeln!«
    »Daran fehlt es nicht«, sagte Abukow. »Soll ich Ihren Schreibtisch durchs Fenster werfen, Genosse?«
    »Immer voraus mit dem großen Maul, die Jugend!« Der

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