Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Magenkranke suchte in einer Schublade nach Formularen, fand sie endlich und seufzte wieder wie unter einer großen Last. »Haben Sie schon mal bei 45 Grad Frost Eisenplatten abgeladen? Dran kleben bleiben Sie, als seien es Fliegenfänger.«
    »Was andere können, kann ich auch.«
    »Darauf kommt es nicht an, Großmaul! Sie melden sich zur Einstellung als Spezialist für schwere Fahrzeuge. Ab 38 Tonnen. Also muß man Sie auch dafür einsetzen. Sonst kommen Sie eines Tages mit einem Schreiben und beschweren sich, daß Sie statt mit dem Hintern auf einem Sitz mit den Händen haben arbeiten müssen – nun hätten Sie's im Kreuz, die Bandscheibe sei verschoben, nicht mal ein Gläschen könnten Sie ohne Zittern an den Mund heben. Ha, zum Krüppel habe man Sie gemacht! Und dann soll der Staat Ihnen eine fette Rente zahlen, damit Sie als stolzer Invalide auf einer Bank in der Sonne sitzen. Sehe ich so aus, als ob ich mir das vorwerfen ließe? Nein, mit mir macht man so etwas nicht! Sie werden Ihren Lastwagen lenken … Füllen Sie diese Formulare aus, Victor Juwanowitsch, und kommen Sie morgen wieder. Ich werde sehen, wo man Sie einsetzen kann.«
    »Man hatte mir in Perm gesagt, in Surgut suche man Leute.«
    »Diese Vollidioten in Perm!« Der Genosse Zentraleinsatzleiter lief gefährlich rot an und zerbrach zwischen seinen Fingern einen Bleistift, was ihn völlig aus der Fassung brachte. »Da sitzen sie in ihrem Planungspalast, zeichnen wunderschöne Pläne, bauen Modelle und fotografieren sie – aber wir hier draußen müssen uns durch die Wälder schlagen und durch die Sümpfe wühlen.« Er starrte Abukow an, als solle er hingerichtet werden. »Wissen Sie, daß die Gasleitung durch 200 Kilometer Sumpf führt? Daß wir die Trasse über 561 Wasserhindernisse legen müssen, über Flüsse hinweg, unter Flüssen hindurch? Das hängt uns am Hals! Die in Perm geilen sich bloß an ihren schönen Plänen auf.«
    So war es zwar nicht, denn in Perm und in den Dienststellen des Ministers für den Bau von Betrieben der Erdöl- und Erdgasindustrie der UdSSR, dem Genossen Boris Stscherbina, zerbrach man sich Tag und Nacht sehr ernsthaft die Köpfe, wie man die Pipeline von Urengoj aus quer durch Westsibirien bis zur Wolga führen könne – aber Abukow nickte ergriffen, um einen guten Eindruck zu hinterlassen.
    Er nahm die Formulare an sich und wollte gehen.
    »Fünf Paßfotos gehören dazu!« bellte der aufgeregte Genosse. »Dann werden Sie von einem Amtsarzt untersucht. Nur Gesunde kommen in den Arbeitsprozeß. Sind Sie gesund?«
    »Ich glaube es, Genosse.«
    »Keinen verschleppten Tripper?«
    »Das bestimmt nicht!«
    »Oje, was da so alles zu uns kommt. Kaum glaublich! Als ob wir ein Abfallkübel wären. Man könnte verzweifeln.«
    Abukow nutzte die Zeit, ließ sich fotografieren, grinste freundlich in die Kamera, füllte die Fragebogen aus, zeigte sie als Legitimation vor, als er sich im Wohnheim für eine Bettstelle meldete, und erhielt ein Eisenbett in der Durchgangsstation. Hier herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Urlauber kamen von den verschiedenen Pipelineabschnitten in dieses Sammellager. Oder Kranke, die einen Spezialarzt brauchten. Verschiedene andere Gruppen wurden per Lastwagen oder Materialzügen mit angekuppelten Personenwaggons zu den Trassen gefahren, denen sie zugeteilt worden waren.
    Abukow hörte sich vorsichtig um, ob man etwas von Sträflingen zu berichten wußte, von abgeschirmten Lagern, von den Leiden der Sträflinge. Aber er vernahm nur Andeutungen. Zu langen Gesprächen war keiner bereit.
    »Mag sein«, sagte einer, den Abukow beim Fotografieren traf; »gibt es Häftlinge nicht überall?« Es war ein Ingenieur. Fein hatte er sich gemacht, trug einen blauen Anzug, ein weißes Hemd und eine rote Krawatte und ließ sich ablichten, um das Foto seiner Braut als Geschenk mitzubringen. Er hatte vier Wochen Urlaub, flog übermorgen nach Charkow und wollte dort heiraten. »Dann kommt sie mit nach Totolsk«, erzählte er mit glänzenden Augen und vibrierender Stimme; »eine Wohnung hat man mir versprochen, zwei Zimmer, ganz allein für uns. Ein Neubau, sieben Stockwerke hoch. Mit Doppelfenstern und einer Ferngasheizung. Das bekommt man nur in Sibirien geboten. Hier weiß man, was ein Mensch wert ist. Wird das eine Hochzeit, mein Lieber! Ganze 3.450 Rubel habe ich gespart, wo kann man das sonst? Nur in Sibirien! – Häftlinge? Wie gesagt: Mag sein. Aber wer sich anständig benimmt, braucht nicht hinter

Weitere Kostenlose Bücher