Ein Kreuz in Sibirien
Theke, bewegte sich rückwärts – und bumm, stieß man aneinander.
»Kein Unglück, Bruder«, sagte Gordejew höflich. »Die verschütteten Tröpfchen lassen sich von der Hand lecken. Ist Ihnen nichts passiert?«
»Nichts. Ich bin fast fertig mit dem Frühstück. Nur auf den Fuß haben Sie mir getreten.«
»Ich bitte um Verzeihung.«
»Schon geschehen, Genosse.«
Aus dieser angenehmen Unterhaltung entwickelte sich ein langes Gespräch, in dessen Verlauf Gordejew sein Sofa für eine Rubel pro Nacht anbot.
»Was wollen Sie lange herumlaufen und suchen, mein lieber Victor Juwanowitsch!« rief er und legte, wie einem alten Freund, den Arm um Abukows Schulter. »Betrügen wird man Sie überall. Die Burschen in den Hotels sind alles Halsabschneider; sie wedeln nur mit den Händen, wenn die Gäste von Intourist kommen – unsereiner ist für sie wie Rotz auf dem Hemd. Bei uns können Sie sich wie zu Hause fühlen. Wie lange wollen Sie bleiben?«
»Höchstens eine Woche.«
»Und dann?«
»Ich muß weiter nach Swerdlowsk.«
»Der Himmel beschütze Sie! Welch ein weiter Weg! Was wollen Sie hinter dem Ural, mein Freund?«
»Ich habe eine Dienstverpflichtung.« Abukow trank den Rest seiner Honigmilch und wischte sich die Lippen mit dem Handrücken. »Ich bin Lastwagenfahrer. Diese großen Brocken, wissen Sie, so ab zehn Tonnen und mehreren Achsen. Wir sind gesuchte Spezialisten. Eines Tages waren Werber bei uns, zeigten einen Film aus der Taiga, hielten Vorträge, erzählten stundenlang, was es da alles gäbe – ein wohlhabender Mensch kann man da werden. Sie garantieren einen Monatslohn, der fünfzig Prozent über den Spitzenlöhnen liegt. Mit Zulagen und einer Wohnung, die mietfrei ist. Einen vollen Monat Urlaub gibt es auch. Rechnet man das alles zusammen, sind es fast 150 Prozent mehr Verdienst als hier hinter dem Steuer. Da soll man nicht zugreifen?«
»Aber es ist Sibirien, Victor Juwanowitsch«, sagte Gordejew schaudernd.
»Man wird es überleben.« Abukow lachte jungenhaft. »Bin ich nicht jung und stark genug?«
Die Wohnung der Gordejews bestand aus einem Wohnzimmer, einem Schlafraum, einer Höhle von Küche und einem Lokus, der auf dem Flur lag und den vier Mietparteien benutzten. Morgens, mittags und abends nach dem Essen mußte man sich vor der Tür anstellen, und die Tür war dünn: Man hörte jedes Darmgeräusch. Aber wer wird denn so zimperlich sein und einem lieben Nachbarn einen Furz übelnehmen? Ein großes Glück war es schon, in einem Haus zu wohnen, wo jede Familie eine eigene Wohnung besaß. Jakow Prokopijewitsch Gordejew gehörte zu den Auserwählten: Er arbeitete im Planungskomitee für Straßenbau und kannte viele, die Einfluß hatten und ihm auch halfen.
Anna Nikitajewna Gordejewa, Jakows Frau, war ein dickes, nettes Persönchen, das den neuen Schlafgast freundlich begrüßte, zu Mittag einen Topf voll Gurkengemüse kochte und den Teller, den Abukow leer aß, mit 35 Kopeken berechnete. Am Abend dann wurde es gefährlicher, als nämlich die einzige Tochter der Gordejews, Marianna Jakowjewna, von der Arbeit in einer Elektromotorenfabrik heimkehrte, wo sie in der Wicklerei beschäftigt war.
Marianna schielte schauerlich, war klein und mickrig, vorne und hinten platt wie ein gehobeltes Brett und schnalzte mit der Zunge, wenn sie sich freute. Als sie Abukow sah, freute sie sich sehr, schnalzte laut und sagte:
»Bei uns wird es Ihnen gefallen, Genosse! An nichts soll es Ihnen fehlen, wirklich an nichts.«
Gordejew grunzte zufrieden, die Gordejewa trug Piroggen auf, gefüllt mit Hühnerfleisch, und berechnete sie diesmal nicht. Abukow wurde es unheimlich. Er ahnte, daß Jakow Prokopijewitsch in seiner grenzenlosen Vaterliebe den von ihm ausgesuchten Männern nur deshalb das trauliche Sofa anbot, um Marianna biologische Freuden zu gönnen – ein Dienst, zu dem sonst freiwillig kein männliches Wesen bereit war. Auch an den zufälligen Zusammenstoß am Milchausschank des Kiewer Bahnhofes glaubte Abukow nun nicht mehr – es war ein abgekartetes Spielchen gewesen, um ihn einzufangen. Nirgendwo kann man einen Menschen leichter fischen als auf einem Bahnhof.
Es gelang Abukow vier Nächte lang, Marianna Jakowjewna abzuwehren. Der alte Gordejew verzehrte sich vor Kummer und Wut.
Anna Nikitajewna, das rührige Mütterchen, fütterte Abukow, als müsse er wie ein Bock gemästet werden. Aber als es sich endgültig herausstellte, daß weder süße Sahne noch Haluschkys – das sind lockere
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