Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
garen«, sagte Arikin. »Sie gruben in den Boden ein Loch, legten es mit Steinen aus, heizten die Steine, bis sie fast platzten, und gaben dann das Fleisch dazu. Noch eine Lage Steine, dann die Erde wieder darüber … das Fleisch garte im eigenen Saft.«
    »Das muß man erst können!« Fomin, der Chirurg, starrte auf die große Kiste mit den Hühnern. »Was ist, wenn wir aus dem Erdofen nur noch verkohlte Stücke herausholen? Wie lange darf ein Huhn auf den Steinen bleiben? Und wenn es nicht verkohlt – trocken wie ein Lederlappen kann es werden.«
    »Wir müssen es eben lernen, Freunde.« Arikin hob die Schultern. »Ein Hühnchen muß man zum Versuch opfern. Weiß einer etwas Besseres als den tatarischen Ofen? Alles über der Erde riecht, und der Wind trägt es in alle Ecken. Da hat Fedja recht: Hunderte werden mit schnuppernder Nase herumlaufen, und auch die Wachen werden es riechen!«
    »Ein anderer Vorschlag.« Der Chirurg Fomin setzte sich auf die wertvolle Kiste. Die Schuhwerkstatt war geschlossen, sie waren allein. Die anderen Häftlinge saßen schon jenseits der Palisaden in ihren Baracken. Der Schuhmachermeister – ein schmaler Mensch mit Brille, seit neun Jahren Witwer und deshalb ganz froh, diese Stellung bekommen zu haben, wo eine gutfunktionierende Verwaltung für ihn sorgte, ihm Essen und Wohnung gab und ihn aller Sorgen enthob – war längst in sein Zimmer im Verwaltungsgebäude zurückgekehrt. Fomin war wie immer der letzte; er räumte auf, kehrte die Böden, sorgte für Ordnung. Genau wie der Bildhauer drüben in der Schreinerei, dem es oblag, den geheimen Kirchenraum der christlichen Gemeinde – das Holzlager – zu überwachen. »Mein Vorschlag also«, wiederholte Fomin: »Jeder bekommt sein Stück Hühnchen sofort … roh. Er kann damit machen, was er will.«
    »Und uns alle verraten, wenn er sein Stückchen über einem Feuerchen röstet!« rief Arikin. »Zu gefährlich, Wladimir. Befreunden wir uns mit dem Erdofen, mit allen Risiken.«
    »Risiken gibt es viele.« General Tkatschew trat an das staubige Fenster und blickte hinüber zu der langen Wagenreihe. »Abukow sprach von Gott!«
    »Genau gesagt …«, Arikin legte die Hände zusammen. »… er meinte, Gott könne ihn schicken. So habe ich es verstanden.«
    »Lubnowitz ist drüben bei Professor Polewoi«, sagte der General. »Abukow kann mit diesem Satz eine ganz große Falle aufgebaut haben …«
    »Fassen wir zusammen, was wir von Abukow wissen, aus eigener Anschauung und durch die Berichte von Mirmuchsin: Er ist plötzlich da als Kraftfahrer, der angeblich aus Kirow kommt. Ein Freiwilliger – davon gibt es in Sibirien Tausende. Also unverfänglich.« Fomin, der Chirurg, zählte die einzelnen Punkte an seinen Fingern ab. Es waren knochige, zerrissene Hände geworden – war es in einer anderen Welt gewesen, als diese Hände einmal die feinsten Nerven im Hirn operieren konnten? »Abukow kommt nach Tjumen und trifft auf den Amtsarzt, der auch aus Kirow stammt. Zufall … so etwas gibt es natürlich; wer will das bestreiten? Durch diese Bekanntschaft bekommt Abukow einen besonders guten Posten: Er wird Fahrer des Kühlwagens. Ist auch das ein Zufall? – Gleich nach seiner ersten Ankunft im Lager hat er eine Auseinandersetzung mit Jachjajew. Nichts geschieht! Warum? Auch Zufall? Plötzlich erscheint er an der Trasse, steckt Fjodor Butter, Marmelade, Schokolade, Schmalz und Honig zu und schmeichelt sich damit ein. Will Vertrauen erwecken, will eindringen in unseren Kreis. Ich frage: Woher weiß er, daß Fjodor General und Ilja ein Jurist, Miron ein Schriftsteller und Georgi ein Professor sind?«
    »Von Mustai!« antwortete Arikin und schob die Unterlippe vor. »Was mir gar nicht gefällt, ist der Wahnsinn mit dem Theater. Polewoi hat recht: Damit hat er uns alle unter Kontrolle. Wir werden sehen: Wenn ihm das Theater erlaubt wird, das Unmöglichste des Unmöglichen – dann wissen wir, woher er kommt! Dann ist Abukow ein verdammter Beamter der Zweiten Hauptverwaltung des KGB, und zwar der Abteilung ›Sluschba‹, der Führungszentrale der Spitzel in unserer Mitte.« Arikin blickte die anderen forschend an: »Hat jemand eine andere Meinung?«
    »Es ist alles so voller Widersprüche«, sagte der General fast hilflos. »Wenn Abukow ein auf uns angesetzter Spitzel ist, dann muß dem KGB eine Information zugegangen sein, hier im Lager gäbe es eine religiöse Gemeinschaft. Hat aber der KGB tatsächlich eine solche Information, dann braucht er

Weitere Kostenlose Bücher