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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Selbstbedienungsrestaurants eine Hühnerkeule mit Pilzsoße, trank köstlich kalten Kwaß und flog dann zufrieden nach Surgut zurück. Sein Gesicht wurde erst wieder ernst, als seine Maschine über Taiga und Sumpf und dem Lagergelände zum Flugplatz einschwenkte – hier war das andere Sibirien, das Sibirien der toten Seelen, das Sibirien der Gnadenlosigkeit.
    In Tjumens Schaufenster ein golddurchwirktes Abendkleid aus Samt – dort unten in Staub und Sumpf die Häftlinge, zerlumpt, halb verhungert, krank bis in die Knochen, den Schwärmen von Mücken schutzlos ausgesetzt.
    Der Irrsinn ist eigentlich perfekt, dachte Abukow voll Bitterkeit. Ich ringe in Tjumen um Luxus, damit die lebenden Toten sich freuen sollen.
    Das kann nur begreifen, wer da unten in der Taiga lebt.
    Der Aushilfsfahrer dankte Gott im stillen, daß Abukow, für den er eingesprungen war, sich wieder meldete. Ein wahrer Höllenposten ist es, immer, bei jeder Abfahrt, zu hören: Paß auf, sei vorsichtig, küsse das Wägelchen, bevor du es besteigst. Es ist unser bestes Stück!
    Bis zu dieser Aushilfe hatte er nur Schraubenkisten zum Depot III an der Pipeline gefahren, ein herrlich leichter Einsatz auf guten Straßen. Da war man abends nicht zu müde, sich um seine leiblichen Bedürfnisse zu kümmern. Wer aber zurückkam von der großen Lagerroute, der fiel aufs Bett, genehmigte sich vielleicht noch einen hohen Wodka und zog dann die Hose aus – nicht, um vor einem Weibchen zu renommieren, sondern um zu schlafen.
    So war man in Surgut rundherum fröhlich, als Abukow sich meldete und sagte: »Wo ist mein lieber Kühlwagen Nummer 11?« Der Transportleiter, der Fahrbereitschaftsleiter, der Werkstattleiter, der Aushilfsfahrer, der Ladeleiter – überhaupt alle, die mit Abukow zu tun hatten, drückten ihm die Hand und versicherten, er habe ihnen sehr gefehlt. Natürlich würde er morgen seinen geliebten Kühlwagen wieder auf die Höllenstrecke setzen können.
    Und so traf am Donnerstag, wie versprochen, die Verpflegungskolonne mit dem Kühlwagen Nummer 11 an der Spitze im Lagerbereich 451/1 ein. Schon der erste Sperrposten hatte sie angekündigt: »Freunde, sie kommen! Es gibt wieder frisches Fleisch und Hühnchen, Käse und Quark, Gemüse und Obst.«
    Es war selbstverständlich, daß der fette Gribow vor dem Eingang seines Magazins stand und der Wagenschlange gespannt entgegensah. Ebenso erwartungsvoll waren drei Häftlinge, die man zu Säuberungsarbeiten abkommandiert hatte: Der eine – der Schriftsteller Arikin – strich ein Garagentor, der zweite – der Physiker Aaron Petrowitsch Lubnowitz – nagelte neue Bretter an den Palisadenzaun, der dritte – General Tkatschew – pflanzte, aufgrund seines Gesundheitszustandes für leichte Arbeiten eingeteilt, im erbärmlichen Vorgarten der Kommandantur neue Blümchen. Am Fenster des Hospital-Waschraums stand der Professor und starrte auf die näher kommende Staubwolke. Mirmuchsin war noch in seiner Limonadenbrauerei; er soff sich Mut an mit einem höllischen Schnaps, den man hier in Sibirien aus Holz brennt. Dieser Holzsprit, in staatlichen Destillerien gewonnen, ist in der Industrie unschädlich. Mehrmals gefiltert und verdünnt kann man ihn sogar trinken. Aber was man da heimlich und im Ställchen zusammenbrennt – Freunde, wer so was trinkt, spielt mit seinem Schicksal Lotterie: Verträgst du es, ohne blind zu werden, hast du gewonnen! Und Mirmuchsin trank jetzt zur Aufmunterung einen ›Privatbrand‹.
    Der erste, der Abukow erkannte, war der General. An ihm mußte der Kühlwagen Nummer 11 zuerst vorbei. Abukow winkte ihm zu, der General winkte zurück, und dieses Winken war das Zeichen für die anderen: Er ist gekommen!
    Was Gribow nicht wußte, wohl aber Mustai, war der Beschluß der verschworenen Gemeinschaft, Abukow eine Falle zu stellen.
    »Er soll es uns beweisen, daß er es mit dem Theater ernst meint«, sagte der Professor. »Wir können innerhalb von vier Stunden ein ganzes Ensemble zusammen haben. Hier leben Tenöre, Baritone und Bassisten, Musiker aller Instrumente. Im Lager VI allein gibt es vier ehemalige bekannte Schauspieler. In der Gruppe II arbeitet der Regisseur Tawitschek. Im Abschnitt Agan bei den Rohrumwicklern sind zwei Dramaturgen und ein Dirigent. Jedenfalls werde ich dem Großmaul Abukow ein Staatstheater servieren, und wenn er kneift …« Er sah Mustai an, und Mirmuchsin verstand ihn und nickte stumm.
    So war die Stimmung, als Abukow seinen Kühlwagen Nummer 11 vor Gribows

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