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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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keinen Abukow, der sich mit Lebensmitteln bei uns einschleichen soll. Dann genügt Jachjajew mit seinem ›Kasten‹ oder der Wink mit einem Daumen, und irgendwo ist ein schwaches Glied in der Kette, und die Kette zerbricht. Wozu der teure Umweg über Hühnchen und Schmalz? Ein nackter Hintern, ein Holzbock und eine Lederpeitsche genügen vollauf, um die Wahrheit herauszubringen.«
    »Vielleicht ahnt man, daß jeder von uns sich in Stücke schlagen ließe, ohne den Mund aufzumachen?« sagte Fomin, der Chirurg.
    »Ist es so?« Der General sah voll Zweifel auf seine Hände. »Ich möchte darauf kein Haus bauen, nicht mal eine Hütte. Jeder Mensch hat, wenn ihm Schmerzen zugefügt werden, eine Grenze. Wer weiß das besser als der KGB?«
    Sie warteten bis zur Dunkelheit, schoben dann die schwere Kiste durch die Zaunlücke, marschierten anschließend durch das große Lagertor und meldeten sich bei der Wache.
    »Drei Mann vom Abladen und vom Werkstattdienst zurück«, meldete der General.
    Der Wachhabende nickte. Er kannte ja jeden der ›Geleitfreien‹, die ehemals großen Genossen, von denen nichts übriggeblieben war als ihr Name, und der sagte auch nichts mehr. Er winkte, die drei passierten das Tor und schlurften hinüber zu ihrer Baracke. Was wird morgen sein, dachten sie. Oder vielleicht schon in der Nacht? Sind wir Abukow auf den Leim gegangen? Wird man unsere Baracke durchsuchen? Fünfzehn Hühner, von den anderen Dingen ganz zu schweigen. Das ist eine satanische Versuchung; wer könnte ihr widerstehen? Sich einmal richtig vollfressen – und dann sterben. Wäre das nicht auch ein Ziel?
    Bei Gribow blieb Abukow bis zum Abend. Als er ging, traf er im Flur des Magazins auf Mirmuchsin.
    »Wo hast du gesteckt?« fragte Abukow. »Bin seit acht Stunden hier!«
    »War in meinem Betrieb«, sagte Mustai kurz angebunden. »Willkommen bei uns, Victor Juwanowitsch.«
    »Ich bin an deiner Tür gewesen. Abgeschlossen. Nichts rührte sich. Ich habe für die Häftlinge eine Menge abgezweigt.«
    »Ist mir bekannt geworden.« Mustai musterte ihn abweisend. »Wo willst du jetzt hin?«
    »Den Bär wecken. Ich gehe zum Kommandanten.«
    »Weiß er, daß du kommst?«
    »Gribow hat vor drei Stunden mit ihm telefoniert. Er hat mir diese Zeit genannt.« Abukow blickte Mustai forschend an. Das Benehmen Mirmuchsins gefiel ihm nicht. »Was hast du?« fragte er. »Irgendein Kummer? Verändert bist du …«
    »Welcher Mensch ist immer gleich?« fragte Mustai und drängte sich an Abukow vorbei. »Bist du immer der, den ich anblicke?«
    »Ja.« Abukow nickte. Mirmuchsins Frage gab ihm sehr zu denken. »Ich bleibe, der ich bin. Veränderungen sind nur äußerlich! Ein Hemd wechselt man, und gleich sieht der Mensch fremd aus. Schlüpft jemand in einen anderen Rock, heißt es schon: Nanu, wer ist denn das? Ein Neuer? Schneidet er sich die Haare und hat plötzlich einen Scheitel, begrüßt man ihn: Einen schönen Gruß, Nachbar, wer sind Sie? Man kann Häuser bunt anstreichen, das Holz darunter bleibt Holz! Denk mal drüber nach, Mustai Jemilianowitsch.«
    Abukow ließ den erstarrten Mirmuchsin stehen und verließ das Verpflegungsmagazin. Aber er ging nicht geradenwegs hinüber zur Kommandantur, sondern machte einen Umweg zum Hospital. Er drängte ihn, noch ein paar Worte mit Larissa Dawidowna zu sprechen.
    Die Tschakowskaja gab sich ihrer liebsten Abendbeschäftigung hin: Sie lag, eingehüllt in einen grusinischen, bestickten, kaftanähnlichen Umhang aus feinster Seide, auf ihrem unter einer Wolfsfelldecke versteckten Bett, hörte Tschaikowsky-Ballettmusik von ihrem Plattenspieler und blätterte dabei in den neuen Magazinen, die ihr Kollege Dr. Dshuban Owanessjan vor drei Tagen aus Tjumen bekommen hatte. Obgleich die Abbildungen verdreht stehender oder hockender, liegender oder herumspringender Männer ihr nichts sagten, als daß die Modelle anatomisch gut gebaut waren und auch von Frauen mit Interesse betrachtet werden konnten, las sie dennoch die Artikel durch. Still lächelte sie vor sich hin, wenn sie neben Modeaufnahmen ein paar rote Randstriche sah, die Dshuban angebracht hatte. Es war vorauszusehen, daß die Lagerschneiderei in den nächsten Wochen allerlei zu tun haben würde, um den modischen Wünschen von Dr. Owanessjan nachzukommen.
    Da das Lagertor geschlossen war und bis auf einige wenige Abkommandierte, zu denen Polewoi gehörte, kein Häftling sich mehr im Kommandanturbereich befand, hob sie überrascht den Kopf, als es an ihrer Tür

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