Ein Kreuz in Sibirien
klopfte. Sie ordnete ihren Kaftan, richtete sich auf, lehnte sich an die Wand und rief herein. Baß erstaunt war sie, daß es Abukow war, sie hatte eher mit Jachjajew oder gar Rassim gerechnet.
Abukow blieb an der Tür stehen. Auch einem Priester sei es erlaubt – vor allem, wenn er erst fünfunddreißig ist –, für einen Augenblick die Schönheit eines Weibes in sich aufzunehmen. Abukow tat es nicht mit gierigen Augen; er sah vielmehr die ästhetische Vollendung dieser Frau, die da auf einem Wolfsfell lag, in glitzernder, bestickter Seide, das kurz zuvor gewaschene schwarze Haar von einem roten Samtband gehalten. Mit ihren leicht asiatischen Augen blickte sie ihn an. Das Licht der Tischlampe zauberte einen bronzenen Schimmer auf die hohen Wangenknochen. Unter der fließenden Seide ihres Umhangs zeichneten sich die schlanken Beine, ihr flacher Leib und die Wölbung ihrer Brüste ab. Zu diesem Land gehört sie, dachte Abukow fast ehrfurchtsvoll. Nicht in dieses Lager, oh, nie, aber in dieses Land Sibirien, das voller Schönheit und voller Geheimnisse ist.
Ihre Blicke prallten aufeinander; wären sie Materie gewesen, hätte es jetzt einen metallenen Schlag getan. So drangen sie nur lautlos in den anderen ein.
»Victor Juwanowitsch«, sagte Larissa, und ihre Stimme hatte wieder den Jungmädchenklang, der gar nicht zu ihr paßte. »Drückt Sie etwas? Was führt Sie zu mir?«
»Ich habe gleich eine Besprechung mit dem Kommandanten.« Abukow blieb an der Tür stehen. »Vorher, dachte ich mir …« Er verzog sein Gesicht zu einem Grinsen, weil er getreu seiner Rolle etwas Dummes sagen mußte: »Es kann sein, daß Rassul Sulejmanowitsch in wenigen Minuten entweder einen Schreikrampf oder einen Lachkrampf bekommen wird. Sind Sie medizinisch darauf eingerichtet?«
»Die Therapie ist einfach: Ein Schlag ins Gesicht. Das hilft immer.« Sie erwiderte sein Lächeln und winkte ihn zu einem Stuhl neben dem Wolfsbett. »Es kann aber auch sein, Victor Juwanowitsch, daß Rassim Sie mit all seiner Kraft in den Leib tritt – dann sieht es böser aus! Soll ich ein Bett für Sie frei machen? Rassim hat ungeheure Kräfte. Ärgern Sie lieber einen Büffel als ihn.« Sie beugte sich etwas vor, schob das rote Samtband vom Kopf und schüttelte ihre schwarzen Haare. »Was wollen Sie von ihm, Abukow?«
»Ich habe aus Tjumen vier Vollmachten mitgebracht.«
»Ach!« Sie starrte ihn an. Mißtrauen war plötzlich in ihren dunklen Augen, die Lippen verengten sich etwas. Sie warf Dshubans Magazin mit den schönen jungen Männern auf den Boden und legte dann die Hände in den flachen Schoß. »Vollmachten? Sieh an.«
Abukow blieb an der Tür stehen und neigte etwas den Kopf. »Tschaikowsky«, sagte er. »Schwanensee. – Können Sie singen, Larissa Dawidowna?«
»Ich weiß es nicht. Ich lebe in einer Umgebung, wo man nicht singt.«
»Sie wären eine wundervolle Tatjana, wenn es uns gelänge, ›Eugen Onegin‹ aufzuführen.«
»Sie sind verrückt, Abukow!«
»Oder eine ideale Ophelia, wenn wir uns den Hamlet vornehmen.«
»Haben Sie getrunken, Victor Juwanowitsch?« Sie schob sich von dem Wolfsfell, stand auf und stellte den Plattenspieler ab. Die unvermittelte Stille hatte etwas Lähmendes. Es war ein Gefühl grenzenloser Einsamkeit. Kälte in einer sommerschwülen Nacht.
»Auch das!« sagte Abukow. »Ich bin kein Held. Aber ich muß einer sein.« Er legte die Hand auf die Türklinke. »Das war eigentlich alles, Genossin Tschakowskaja.«
»Und deshalb kommen Sie zu mir?«
»Ich brauchte plötzlich jemanden, dem ich sagen kann, daß auch ich nur ein Mensch bin. Ein Mensch mit Angst.« Abukow hob die Schultern. »Jetzt ist mir leichter. Viele erwarten von mir den Mut eines Märtyrers. Wie schwer ist das …«
Er drückte die Klinke herunter, Larissas helle Stimme hielt ihn zurück: »Wie kommen Sie auf Märtyrer, Abukow?«
Den Köder hat sie aufgenommen, dachte Abukow zufrieden.
Nun schluck ihn hinunter, Dr. Tschakowskaja … schwer wird er dir im Magen liegen, unverdaulich, ich weiß es.
»Seien Sie gnädig und vergessen Sie es!« sagte er und riß die Tür auf. »Mit Wodka im Hirn spricht man seltsame Dinge. Verzeihung, Genossin … ich schäme mich der Störung.«
Er verließ schnell das Hospital und ging hinüber zur Kommandantur.
Die Tschakowskaja hinterließ er in hellster Aufregung. Sie stürzte aus dem Zimmer und suchte nach Professor Polewoi. Für den Nachtdienst hatte sie ihn angefordert, es gab neunzehn neue
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