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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Magazin bremste, aus dem Führerhaus sprang und gegen die fette Brust Kasimir Kornejewitschs fiel. Gribow küßte ihn ab, als sei Abukow die Köchin Leonowna, brüllte vor Freude und fragte: »Was hast du im Kasten, Brüderchen?«
    »Alles, was dein Herz begehrt. Die Augen werden dir übergehen!« Abukow blickte sich um. Das übliche Leben … die Wachmannschaften, die ›geleitfreien‹ Sträflinge bei ihren Sonderarbeiten. Auf einem abgelegenen Platz ließ Rassim sogar exerzieren, um den Überdruck abzulassen, wie er es nannte. Von der großen Küche her zog Krautsuppenduft, der Schornstein der Wäscherei stieß weißen Rauch aus, von den Werkstätten dröhnte Hämmern und das Kreischen von Sägen herüber. Die anderen Wagen der Kolonne fuhren in einer Reihe auf. Die Ablader – auch Häftlinge, meistens gehfähige Kranke – standen noch in einem Block zusammen und warteten auf Gribows Einsatzbefehl. Arikin, Lubnowitz und General Tkatschew kamen näher.
    »Fangen wir sofort an?« fragte Gribow begierig. »Wie sind die Begleitpapiere?«
    »Ich habe zwei Blankolisten bei mir«, erwiderte Abukow.
    »Du bist mir lieber als Bruder, Schwester, Mütterchen und Urahne«, sagte Gribow enthusiastisch. »Es gibt keine Schwierigkeiten?«
    »Keinerlei, Kasimir Kornejewitsch. Was du quittierst, kommt in dein Lager – so einfach ist das bei doppelten Listen.«
    Während die anderen Wagen mit den Kartoffeln, Rüben, Krautfässern und Zwiebelsäcken ausgeladen und die Kisten und Kartons mit Material der Werkstätten weggeschleppt wurden, blieb der Kühlwagen noch verschlossen. Die schwerste Arbeit war hier nicht das Ausladen, sondern das Ausfüllen der zweiten Listen. Gribow schwitzte, als brate er in der Sonne, und rang mit Abukow um die Höhe der Umverteilung.
    »Brüderchen«, sagte Abukow ernst. »Ich bin kein Mensch, der eine offene Hand zurückzieht, in die es golden hineintröpfelt – aber es darf auch nur tröpfeln! Ein ganzer Guß kann das Gelenk brechen, das siehst du doch ein? Wie beim Wodka ist's: Ein paar Gläschen verursachen Wonne, zuviel fegt dich von den Beinen. Laß es tröpfeln, Gribow, immer und immer wieder, statt einen Guß zu fordern und dann nichts mehr zu bekommen.«
    Gribow sah es knurrend ein und fügte sich. So wurden ›umverteilt‹: 30 Hühner, vier Block Schmalz, zehn Kilo Rindfleisch, zwölf Kilo Schweinefleisch, vierzig Eier, zehn Pfund Butter, zwanzig Block Margarine, zehn Block Kunsthonig, vier Eimer Marmelade, eine Schüssel Quark, vierzig Tafeln Schokolade, vierzig Dosen Fertiggerichte und eine Seite fetter Speck.
    Als man die Listen abschloß, traten Gribow die Tränen in die Augen. Er drückte Abukow an sich, versicherte, daß er aus Freundschaft für ihn sterben könnte – was natürlich nur so dahergesagt war –, er sei der beste Mensch unter der Sonne, und noch mehr solche Reden. Dann ging man daran, den Kühlwagen auszuladen, und hier waren nun der General und der Schriftsteller dabei und blinzelten Abukow zu. Er übersah es, zu viele Augen sahen zu ihnen hin. Aber als der General eine Seite Speck auf dem Rücken ins Magazin schleppte, ging Abukow ihm nach und nahm ihm im Kühlraum den Speck ab. Tkatschew sah ihn fragend an. »Es bleibt bei meinem Wort«, sagte Abukow. »Fünfzehn Hühner, bratfertig. Haben Sie dafür gesorgt, daß sie ins Lager können? Das war Ihr Problem, General!«
    »Ist gelöst, Victor Juwanowitsch. Darf ich fragen, warum Sie das tun?«
    »Später! Jetzt laden wir ab. Sorgen Sie dafür, auch noch eine halbe Seite Speck, fünf Kilo Rindfleisch, sechs Kilo Schweinefleisch und – unter anderem – zwanzig Dosen mit Rouladen abzutransportieren.«
    »Sie sind verrückt, Abukow! Wie soll ich …«
    »Sind Sie General und fähig zur Logistik – oder sind Sie als ein Versager mit Recht zum Sträfling gemacht?« sagte Abukow hart. »Ich habe noch mehr für euch, aber ich kann es nur bis ans Magazin bringen – ins Lager hinein, das ist eure Sache!«
    »Wir … wir waren früher noch nie mit einer solchen Situation konfrontiert …«, stotterte der General. »Abukow, sagen Sie mir ein Wort, vertrauen Sie mir: Wer sind Sie?«
    Das war der Augenblick, in dem Abukow nicht mehr wußte, was er tun sollte. Sollte er jetzt seine Tarnung abstreifen? Sollte er sagen: General, ich bin euer neuer Priester?
    Gribow erlöste ihn aus diesem Konflikt. Er kam in den Kühlraum und begleitete den Schriftsteller Arikin, der eine Schweinehälfte schleppte.
    »Man muß immer dabeisein!«

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