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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Darminfektionen im Lazarett und vier Unfälle. Im Waschraum II traf sie ihn.
    »Ich muß dich sprechen«, sagte sie hastig. »Sofort! Er war eben bei mir. Geht zu Rassim. Vollgepumpt mit Wodka. Fast irr redet er. Vier Vollmachten bringt er hin.«
    »Wir müssen abwarten, Töchterchen.« Polewoi ging mit Larissa Dawidowna vor die Tür. »Es ist die Zeit gekommen, wo wir nur beten können. Wir haben seine Geschenke angenommen – er hat uns ganz in der Hand.«
    Den Wunsch des Fahrers Abukow, ihn zu sprechen, hatte der Lagerkommandant Rassim zwar am Rande wahrgenommen, und er hatte auch eine Zeit genannt – aber dann das Ganze wieder vergessen. Nun stand der Bursche vor der Tür und störte ihn beim Schach mit Oberleutnant Sotow – ausgerechnet in einer harten Denkphase, denn Sotow hatte einen guten Zug gemacht und seinen Vorgesetzten in Schwierigkeiten gebracht. Beim Schach war das die einzige Möglichkeit; Rassim verlangte ein ehrliches Spiel. Wenn man ihn bewußt gewinnen ließ, erkannte er das sofort. Mit einem Tritt flog er aus dem Zimmer.
    »Ja?« brüllte Rassim. »Wer ist denn da?«
    Artig trat Abukow ein und verbeugte sich etwas. Rassim starrte ihn an, als habe der Ankömmling gegen die Tür gepinkelt, und hob die Faust. »Hinaus!«
    »Ich bin bestellt, Genosse Kommandant!«
    »Raus, oder du hast deinen Arsch im Gesicht!«
    Oberleutnant Sotow lehnte sich genüßlich zurück. »Matt!« sagte er laut. »Rassul Sulejmanowitsch, Sie sind matt!«
    Abukow trat näher, warf einen Blick auf das Schachbrett und schüttelte den Kopf, ehe Rassim aufspringen konnte, um ihm an den Kragen zu gehen. Der Stuhl flog zwar zurück, aber Rassim blieb in der Hocke stehen, ein wahrhaft seltenes Bild. Sein Turkmenengesicht verzog sich, als zwickten ihn Leibschmerzen.
    »Was schüttelst du den Kopf, du Affe?« zischte er.
    »Da sehe ich einen wunderbaren Zug, Genosse Kommandant«, sagte Abukow. »Gar nicht matt sind Sie!«
    »Los! Mach den Zug, du Großmaul!«
    Abukow trat an den Tisch, blinzelte dem vor Wut seufzenden Sotow zu und holte mit dem letzten Springer Rassims eine völlig neue, gute Situation heraus. Sotow knirschte mit den Zähnen, sprang auf und verließ den Raum. Russen am Schachbrett können Todfeinde werden.
    »Bravo!« sagte Rassim dumpf und ärgerte sich mächtig, daß ihm der Zug nicht selbst eingefallen war. Kommt da einer daher und zeigt ihm, daß er nicht denken kann. »Spielen wir die Partie zu Ende?«
    »Bitte nicht, Genosse Kommandant!« Abukow schüttelte den Kopf.
    »Warum nicht?«
    »Ich würde gewinnen. Ihr Partner war kein guter Spieler. Sie sind in einer aussichtslosen Position. Dieser Zug brachte nur ein wenig Luft – beim übernächsten sind Sie wirklich matt!«
    Rassul Sulejmanowitsch starrte auf das Schachbrett, ging dann hinüber zu der Sesselecke und warf sich in einen dicken Ledersessel. Als er an Abukow vorbeiging, war er versucht, ihm ins Gesicht zu schlagen, aber er unterließ es aus Neugier, was noch folgen würde. Ein Schlag von ihm hätte jede weitere Unterhaltung verhindert.
    »Was ist nun los?« fragte er. »Was willst du von mir?«
    »Wir sind verabredet, Genosse Kommandant.«
    »Ich mit dir?« Rassim lachte dröhnend, aber sehr gefährlich. Abukow kam näher. »Mein Name ist Victor Juwanowitsch Abukow. Ich fahre den Kühlwagen Nummer 11. Aber das ist nicht alles! Ich bin beauftragt, hier ein Theater zu gründen.«
    Nur viermal in seinem Leben – und er war immerhin vierzig – war Rassim sprachlos gewesen: Einmal, als seine Frau ihm ein Mädchen gebar – da hatte er am Krankenbett einen Mundschutz um. Das zweitemal, als ihm der Armeegeneral eine Medaille verlieh – da darf man nichts sagen, sondern nur strammstehen. Das drittemal, als er beim Badeurlaub am Kaspischen Meer fast ertrunken wäre – da hatte er den Mund voller Wasser. Und das viertemal, als er seine Frau Jewgenija zusammen mit dem Bezirkskommandanten im Bett überraschte – da nahm er stumm erst einmal Haltung an, aber eine Minute später flog der Genosse Generalmajor aus dem Fenster. Er war für immer gelähmt und wurde jetzt in einem Rollstuhl herumgefahren.
    Abukow gelang das Kunststück, Rassim zum fünftenmal in seinem Leben die Stimme wegzunehmen. Nur für einen Augenblick natürlich. Aber ehe Rassim dann richtig loslegen konnte, faltete Abukow seine Vollmacht Nummer 1 auseinander und schob sie ihm über den Tisch.
    Ein schneller Blick genügte: ein amtliches Schreiben.
    Wenn einem Russen ein Blatt Papier mit

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