Ein Kreuz in Sibirien
glauben!«
»Es stimmt«, sagte Abukow zu den Offizieren, die sich zu ihm umwandten, »Kasimir Kornejewitsch hat damit nichts zu tun. Ich habe die Hühner gebracht und gegen Quittung abgeliefert. Man braucht nur nachzuzählen.«
»Zählt, Genossen!« schrie Gribow und bebte wie ein vulkangeschüttelter Berg. »Zählt! Nicht ein Hautfetzchen fehlt da. Wie soll ich wissen, woher die Hühner kommen, mit denen man staatstreue Genossen erstickt?«
Die Offiziere umringten Abukow und grinsten breit, denn Mustai hatte sich bei Abukow untergehakt, als suche er in dieser kritischen Lage Schutz bei ihm. Da sie ihn ja für einen Idioten hielten, nur brauchbar, um Limonade zu brauen, grinste er zurück, schnitt Grimassen, ließ die Augen rollen und sagte fröhlich: »Kann's nicht sein, daß das Hühnerbeinchen von einem Offizierstisch gefallen ist?«
»Rinderbraten gab es heute!« rief ein Oberleutnant.
»Weiß ich, was die hohen Genossen Offiziere zu sich nehmen? Wie oft war Victor Juwanowitsch mit seinem Zauberwagen hier? Na? Laßt uns nachrechnen. Was hat er nicht alles aus Surgut gebracht! Malen könnte man es und dann das Bild ablecken. Und wo sind all die Köstlichkeiten geblieben, na? Habe ich je ein Hühnchen zwischen den Zähnen gehabt, ein Stückchen Schokolade gelutscht, den Quark von den Fingern geleckt, Salz auf ein Schmalzbrot gestreut und Gott dabei gelobt? Nichts, Genossen, nichts! Drei Eier hat man mir bewilligt und dazu gesagt: Friß sie nicht – laß sie dir vergolden. So ist das hier! Und plötzlich erstickt jemand an einem Hühnerbein – sagt selber: Wo kann es denn herkommen, wenn nicht vom Teller der Offiziere?«
Ein großes Gelächter gab es, Mustai zog Abukow aus dem Kreis der Offiziere und schob ihn weiter zum Tor. »Manchmal ist es ein Segen, ein Idiot zu sein«, flüsterte er. »Eigentlich solltest du schon unter der Erde liegen …«
»Was sagst du da?« Abukow blieb abrupt stehen. »Erklär das genauer.«
»Ich wollte dich umbringen. Erdrosseln! Mit einer Seidenschnur. In Tjumen, als wir nebeneinander im Bett lagen.«
»Du … du hättest … wieso denn das?«
»Alle glaubten sie, du seist ein Spitzel des KGB. Sie dachten: Er stellt Fallen. Bringt Fleisch und Schmalz und Marmelade und steckt sie dem General zu, um später einen Beweis unserer Schuld zu haben. Wer ist der Unbekannte, fragten sie, der da aus Tjumen kommt und Reichtümer verteilt? Kann nur ein Jäger sein, der den hungernden Vögeln Leimruten legt … Und da habe ich versprochen: Wenn dem so ist, Brüder, erdrossele ich ihn! Meinen Freund Victor Juwanowitsch bringe ich um, so wie man früher die Verurteilten in Samarkand und Taschkent zu Tode brachte – mit einer Seidenschnur.« Mustai klopfte gegen seinen Rock und sah Abukow strahlend an. »Hab sie noch in der Tasche – deinetwegen! Und nun erfahre ich, daß du ein Priester bist …«
Sie standen jetzt im Tor, blickten in das Lager hinein und sahen die Menschenblöcke im gleißenden Scheinwerferlicht stehen. Drei schwere Maschinengewehre waren aufgebaut worden, von den Wachttürmen I und II richteten sich ebenfalls die Läufe von automatischen Waffen auf die Häftlinge, und eine Reihe von Soldaten mit entsicherten Maschinenpistolen bildeten einen weiten, drohenden Bogen zu beiden Seiten des Tores. Es war ein Bild des Schreckens.
Dr. Dshuban Kasbekowitsch Owanessjan hatte die Obduktion abgeschlossen und an Rassim gemeldet:
»Der Genosse Poljakow starb durch einen Bruch der Halswirbelsäule, ausgelöst durch einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand. Das Geflügelbein wurde ihm erst hinterher, also nach Eintritt des Todes, in den Rachen gerammt. Der Tod trat vor etwa drei Stunden ein. Poljakow litt ferner an einer Lungentuberkulose mit zwei offenen Herden in der linken Lunge und an einer Urethritis posterior, was sehr verwunderlich ist. Der Ernährungszustand war erstaunlich gut im Vergleich zu anderen Strafgefangenen …«
Es war ein Obduktionsbericht, den Rassim so nicht hinnahm. Mit dem Papier in der Hand rannte er hinüber zum Hospital und stöberte Dr. Owanessjan auf, wie er gerade die zerschnittene Leiche in einer Zinkwanne wegschaffen lassen wollte. Einer der Träger war Professor Polewoi.
»Was soll das hier?« schrie Rassim sofort und schwenkte den Bericht. »Wollen Sie den so abgeben? Amtlich?«
»Natürlich. Er entspricht voll der Wahrheit. Wenn Sie selbst sehen wollen, Genosse Kommandant.« Dshuban winkte, die Träger setzten die Zinkwanne ab und zogen
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