Ein Kreuz in Sibirien
kurz über den Rücken und lief dann der Tschakowskaja nach. Abukow holte tief Luft, als habe ihn das Parfüm Dshubans schon halb betäubt.
»Väterchen, gefährlich ist das, was du da machst«, flüsterte Mustai.
»Ich weiß es, mein Lieber.«
»Wenn Dshuban sich in dich verliebt, mußt du deine Hose mit Stacheldraht umwickeln. Er wird hundert Möglichkeiten ersinnen, um mit dir allein zu sein.«
»Ich kann mich wehren, Mustai.« Abukow blickte hinüber zu dem hellerleuchteten Lager, über das in voller Lautstärke aus den Lautsprechern die Marschmusik dröhnte. Die Tschakowskaja hatte jetzt das Tor erreicht, sprach mit den dort stehenden Offizieren und schob Leutnant Sotow, der ihr anscheinend das Betreten des Lagers verwehren wollte, mit beiden Händen schroff zur Seite. Sotow warf sich daraufhin herum und rannte zu dem Wachhaus, sicherlich um Rassim anzurufen.
»Ich brauche Dshubans Hilfe«, sagte Abukow in diesem Augenblick.
»Dshuban! Wo könnte er dir helfen?« fragte Mustai entgeistert.
»Bei der Gründung des Theaters!«
»O Mond, hast du sein Gehirn gelähmt? – Du hast das blödsinnige Theater noch immer nicht aufgegeben?!«
Abukow lächelte und hakte sich nun seinerseits bei Mirmuchsin unter. »Komm, laß uns noch ein paar Stündchen schlafen. Und wenn du einmal ganz hell im Kopf bist und denken kannst, dann begreife, daß man für die Bühne zwar irgendwelche Stücke einstudiert, daß man dabei jedoch hinter den Kulissen beten kann!« Mit einem Ruck blieb Mustai stehen und ließ den Mund offen. »Väterchen …«, stammelte er dann entgeistert. »So etwas.!«
»Ja.«
»Dein Theater wird eine Kirche sein.«
»Gelobt sei Gott – Mustai hat einen lichten Moment!«
»Wirf mir nicht vor, daß ich nicht so raffiniert denken kann wie ein Priester. Ein einfacher, schlichter Mensch bin ich. Ha!« Er blieb erneut stehen und griff Abukow an die Jacke. »Ihr Christen werdet beten und singen, und irgendwo wird das übereinandergelegte Holz, das ihr Kreuz nennt, hängen – was aber habe ich? Victor Juwanowitsch, wenn du deine Kirche baust, bekomme ich auch eine Nische fürs Gebet?«
»Natürlich, Mustai.«
»Eine Nische nach Osten, nach Mekka?«
»Von hier aus sind im Osten die Straflager am Baikalsee, bei Kolyma und an der Lena.«
»Im Osten ist immer Mekka, Väterchen!« sagte Mustai milde. »Man muß rund um die Erde denken.«
»Wo betest du jetzt?« fragte Abukow.
»In meiner Limonadenfabrik. Komm, sieh es dir an …«
Sie überquerten den großen Platz, betraten den Komplex des Magazins und blieben vor der verriegelten Tür des Anbaus stehen, in dem Mustai seine Limonaden mischte. Er schloß auf, stieß die Tür zurück, ein schwerer süßlicher Geruch wehte ihnen entgegen, es roch atemberaubend nach Früchten, die in Gärung übergegangen sein mußten. Abukow zögerte.
»Keine Sorge«, lachte Mustai und ging voraus. »Nichts explodiert. Der Geruch entströmt einem neuen Sud. Ich experimentiere.« Er verschloß hinter sich wieder die Tür und schaltete erst dann das Deckenlicht an. Ein paar große Aluminiumkessel standen auf Holzböcken, eine uralte Kühlmaschine rumorte an der Hinterwand, ein langer Tisch mit vielen Gläsern voll bunter Flüssigkeiten nahm die andere Wand ein. Das wichtigste aber war eine gußeiserne Handpumpe, hellrot lackiert. Mit einem kunstvollen, mehrfach gedrehten Schwengelgriff. Mustai blieb mitten im Raum stehen, genoß stolz die Verwunderung von Abukow und klopfte dann liebevoll auf die Pumpe, so wie ein Liebhaber seinem Weibchen auf den Hintern tätschelt. »Ich habe sie mitgebracht aus Samarkand«, sagte er. »Über hundert Jahre ist sie alt, aber sie zieht wie keine zweite. Drei Schläge, und schon sprudelt das beste Wasser aus der Tiefe. Bei der Limonade ist's wie beim Tee: Auf das Wasser kommt es an! Zwölf Meter habe ich gebohrt, da kam ein Wasser, Brüderchen, so klar, so silberhell, sag ich dir … Als ich das erste Glas gegen die Sonne hielt, dachte ich: Nanu, ist nichts gekommen? Kein Wasser war zu sehen. Und dann drehte ich das Glas um und war auf einmal ganz naß. Wasser, das man nicht sehen kann – so klar kommt es aus diesem Brunnen!«
»Und was stinkt hier so?« fragte Abukow. Der Geruch legte sich schwer auf seine Lungen.
»Birnen!« Mustai rieb sich die Hände und blinzelte listig. »Kommt da ein Transport mit Birnen an. Aus Tobolsk. Nicht in Kisten. Nicht in Säcken – einfach so. Wie Rüben oder Kohlköpfe. Waren eine Woche unterwegs, bei
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