Ein Kuss fur die Unsterblichkeit
vergessen
ist.«
Die Hälfte
von dem, was er gesagt hatte, hatte ich nicht verstanden, aber ich war mir
ziemlich sicher, dass er mir inzwischen das Schlimmste seines »teuflischen«
Tuns verraten hatte. Er hatte Ylenia gebissen, wie ich es mir schon gedacht
hatte, und auch eine Menge anderer schlimmer Dinge getan. Dinge, die niemand verzeihen konnte.
»Zeig mir
das Zeichen«, sagte ich leise. Ich nahm seine Hand mit den ganzen Tattoos und
er hob den Kopf und ich sah, dass er geweint hatte. Nur ein bisschen.
Nur ungefähr eine Träne, die sein Gesicht runterlief.
Alles, was
ich jemals gewollt hatte, war ein harter Kerl, aber ich hatte ihn noch nie so
sehr geliebt, wie ich ihn in diesem Moment liebte, als er weinte. Auch wenn ich
ihn gleichzeitig hasste. Ich musste ihn hassen, und zwar nicht weil er Ylenia
gebissen hatte, sondern, weil er mir so viele Dinge verheimlicht hatte. Wie zum
Beispiel die Tatsache, dass er ein Killer war und außerdem verdammt.
»Es ist das
kyrillische ›B‹.« Er fuhr mit dem Finger die Linien nach. »Es informiert
andere vampiri darüber, dass ich gefährlich bin und vernichtet werde,
wenn ich noch eine Gewalttat verübe. Und deswegen kann ich nicht kämpfen, auch nicht
für dich, weil ich Angst habe, wieder die Kontrolle zu verlieren und noch mehr
Leben zu zerstören.«
Als ich das
Zeichen gefunden hatte, hielt ich weiter seine Hand und lehnte mich an ihn.
Ich spürte seinen harten Körper, der innen so weich und aufgewühlt war.
Das ist
es also, warum er nicht hierherkommen wollte. Und weswegen er keine Pflöcke schnitzen sollte.
Aber er ist wegen mir hier und Lucius und Jess...
»Ich habe
dir so viel verschwiegen, Mindy Sue.« Er hörte sich an, als wenn ihm auch das
leidtäte. »Ich wollte selbst glauben, dass es den alten Raniero nicht mehr gibt
und du ihn nicht zu kennen brauchst, aber ich habe uns beide angelogen. Und
dann habe ich die Lüge unter all den philosophischen Ansichten begraben, die
behaupten, dass nur die Gegenwart zählt.«
Das nahm
ich ihm zwar ab, aber uns beiden war doch klar, dass er mir viel zu viel
verheimlicht hatte, und so sagte ich nichts. Wir saßen einfach nur
aneinandergelehnt da und hielten uns gegenseitig die Hände und ich versuchte,
nicht zu weinen, sondern die kleine Flamme, die in meinem Hirn aufleuchtete,
noch etwas anzufeuern. Die kleine Verbindung.
Ylenia
Dragomir, die supereifersüchtig ist und ein ehemaliges Mitglied der
Kiffer-Loser-Clique auf dem Internat. Jess, die austickt. Raniero, der extrem
»teuflisch« ist ...
Es war nur
eine Vermutung, aber ich drückte Ranieros Hand und fragte mit einem winzigen
Funken Hoffnung für die Zukunft, auch wenn seine Vergangenheit furchtbar war
und unser Jetzt ruinierte: »Was ist, wenn der richtig böse Raniero nie wirklich
existiert hat? Was, wenn ihn jemand bloß irgendwie erschaffen hat?«
Kapitel 86
Mindy
Melinda Sue, ich glaube wirklich nicht,
dass Ylenia Dragomir eine Gefahr für Antanasia oder sonst jemanden darstellt«,
sagte Raniero. Er stand vom Bett auf und begann, sich das graue T-Shirt wieder
anzuziehen, das er aus irgendeinem Grund auf einmal nicht mehr angehabt hatte,
als wir uns geküsst hatten. Er steckte den Kopf hindurch, dann die Arme, die
ich fast immer noch um mich spüren konnte – und die ich definitiv nie wieder um
mich spüren würde –, und jetzt sah er wieder aus wie der neue Raniero. »Sie ist
schüchtern und sehr liebenswert.«
»Sie war
selbstbewusst genug, auf einer Party einen Killer anzusprechen«,
erinnerte ich ihn.
»Ich tat
ihr leid, Mindy Sue. Sie hatte Angst vor mir, aber ihr Mitleid war größer als
ihre Furcht. Ich weiß noch, wie sie auf mich zugekommen ist, wie ein nervöser,
kleiner Vogel, der sich einem verwundeten Löwen nähert!«
Ich wusste
nicht, was ein Vogel bei einem Löwen verloren haben sollte, ob der nun
verwundet war oder nicht. »Und dann hat sie dich angebettelt, sie zu einem
richtigen Vampir zu machen. Das ist schon ziemlich mutig!«
Es tat
immer noch unglaublich weh, das zu sagen und mir Jess' Cousine mit dem Typen
vorzustellen, der sich jetzt wieder auf das Bett setzte, um Lucius' coole Sneaker
anzuziehen, die er bei unserer Rumknutscherei auch irgendwie verloren hatte.
Er hätte ganz allein mir gehören sollen,
aber das würde er nun nie mehr. Und das war sowohl meine als auch seine
Schuld.
»Es war ein
seltsamer Abend, Melinda. Ich glaube, dass auch sie Kummer hatte.« Er zog
kräftig an den Schnürsenkeln. »Sie war an dem
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