Ein Kuss unter dem Mistelzweig
seiner Eltern aus. Es war halb sieben in der Frühe, und Rachel stöhnte, als sie allmählich wach wurde. Als sie jedoch das selige Lächeln ihres Sohnes sah, musste sie lächeln.
In Zaks Weihnachtsstrumpf befand sich neben anderen kleinen Geschenken ein Käfer, der auf eine beunruhigend realistische Art und Weise über den Boden flitzte.
Später, als es Rührei und Räucherlachs zum Frühstück gab, zeigte er stolz seiner Großmutter den Käfer.
»Oh, der ist aber toll «, schwärmte Bea lächelnd, schaute zu Rachel hinüber und zog die Augenbrauen hoch.
Aiden lud seiner Mutter den Teller voll und reichte ihn ihr dann hinüber. »Wow. Das ist ja mal ein erfreulicher Anblick nach all dem Krankenhausessen, das kann ich euch sagen«, lachte sie. In ihrer roten Strickjacke, die eine Brosche in Ilexform schmückte, sah sie blendend aus. Ohne dass Zak oder Milly etwas aufgefallen war, hatte sie es geschafft, ihre Geschenke unbemerkt hereinzuschmuggeln und unter den Weihnachtsbaum zu legen.
Sie trugen ihre Teetassen ins Wohnzimmer, nahmen sich Decken und machten es sich auf dem Sofa bequem. »Kann ich der Postbote sein?«, fragte Zak und richtete sich in seinem blauen Schlafanzug auf.
»Klar«, zwinkerte Aiden ihm zu.
Zak lieferte ihnen allen die Geschenke aus. Rachel packte ein Geschenk von Milly aus, einen filigranen grünen Schal. »Der ist wunderschön«, rief sie begeistert und zog ihn aus der Geschenkverpackung. »Hast du den selbst gemacht, Milly?«
»Ich habe das Muster in einem von Lauries Büchern gefunden«, erklärte Milly mit einem bescheidenen Schulterzucken. »Gefällt er dir, Mum?«
»Ich finde ihn wahnsinnig toll!«, rief Rachel und fiel ihr um den Hals.
»Aha!«, rief Bea, nachdem sie ihr Geschenk aufgemacht hatte. Sie hielt eine DVD hoch, Jenseits von Afrika . Aiden hatte sie ihr gekauft, weil er ihr im Krankenhaus die Erinnerungen an Afrika vorgelesen hatte. »Das ist eine wirklich fesselnde Geschichte«, stellte er fest.
Bea sah aus, als wolle sie etwas sagen, hielt dann jedoch inne. »Schon komisch, dass du mir genau diesen Film schenkst.«
»Ach ja?«, fragte Aiden verwundert.
»Ja. Da ist nämlich etwas, das ich euch gern sagen würde.«
Es wurde mucksmäuschenstill. Alle, ja sogar Zak, warteten darauf, dass Bea fortfuhr.
»Als es mir im Krankenhaus langsam besser ging«, fing Bea an und legte ihre Hände um die Teetasse. Rachel schnürte es die Kehle zu, als sie an die fürchterlichen Momente zurückdachte, als sie darauf gewartet hatten, dass Bea aus dem Koma aufwachte, und sie sich gefragt hatten, ob sie wohl jemals …
»Da hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Da ich offensichtlich wieder gesund bin, habe ich mir vorgenommen, das Beste aus der Zeit zu machen, die mir noch bleibt. Die Sache ist die«, fuhr Bea fort. »In meinem Leben gibt es einiges, worauf ich sehr stolz bin.« Eine Hand tastete unbewusst nach dem Medaillon, in dem sich ein kleines Bild von David befand, Aidens Vater. Bea schaute zu ihren Enkeln hinüber, die sie gespannt anstarrten. »Dennoch gibt es auch einiges, das David und ich nie geschafft haben.«
Rachel war perplex. Bea hatte immer so zufrieden gewirkt, hatte stets ihre täglichen Aufgaben in Angriff genommen und sich um ihre Enkel gekümmert. Sie besaß einen großen Freundeskreis, besuchte Bridgeabende und kümmerte sich um verschiedene Aufgaben in der Gemeinde. Es war Rachel niemals in den Sinn gekommen, dass Bea sich vielleicht etwas anderes gewünscht hätte.
»Ich möchte nach Afrika reisen«, verkündete Bea.
Beinahe hätte Aiden den Tee, den er im Mund hatte, vor Schreck quer über den Tisch gespuckt. » Was willst du, Mum?«, fragte er und richtete sich mit einem Ruck kerzengerade auf.
»Ich möchte auf Safari gehen. Mit einer Reisegruppe«, antwortete Bea und zog einen Reiseprospekt aus ihrer Tasche. Zak sprang neben sie aufs Sofa und warf einen Blick auf die Fotos von Löwen und Elefanten. »Cool!«, rief er und schaute mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf.
Beas Lächeln wurde so breit wie Zaks, als sie auf die Fotos mit einem afrikanischen Sonnenuntergang und Nilpferden in einem Wasserloch deutete.
»Aber Mum«, stotterte Aiden. »Du bist doch gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden – und die Ärzte haben gesagt …«
»Keine Sorge«, beschwichtigte Bea ihn und wischte die Besorgnis ihres Sohnes fort. »Ich werde nicht gleich im nächsten Augenblick aufbrechen. Aber ich habe mir diese Broschüre hier angeschaut.«
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