Ein Kuss vor Mitternacht
knistern.
Constance hatte sich zwar fest vorgenommen, sich ihm gegenüber sehr distanziert zu verhalten, um sein Verlangen nicht zu schüren, wollte allerdings nicht darauf verzichten, dieses reizvolle Kleid zu tragen.
Mit raschelnden Röcken eilte sie den Flur entlang und betrat Francescas Zimmer, wo Maisie die letzte Hand an der eleganten Abendtoilette ihrer Herrin anlegte. Francesca, die sich noch ein wenig matt fühlte, wollte den Ball um nichts in der Welt verpassen.
Sie lächelte Constance entgegen. „Sie sehen wunderschön aus.“
„Nicht so schön wie Sie“, antwortete Constance.
Keine Frau kann sich mit Francescas Schönheit messen, dachte sie bewundernd. Eine atemberaubende Erscheinung in einem Traumgebilde aus schwarzer Seide und Tüll. Mieder und durchsichtiger Überwurf ihrer eleganten Robe waren mit unzähligen glitzernden Pailletten bestickt. Die langen durchsichtigen Ärmel unterstrichen die Eleganz ihrer schlanken Arme. Das blonde Haar trug sie zu einem Kranz hochgesteckt, und die darin verwobenen schwarzen Perlenschnüre brachten das schimmernde Blond vorteilhaft zur Geltung. Um ihren schlanken Hals trug Francesca ein eng anliegendes schwarzes Perlencollier, das ihren hellen Teint beinahe transparent wirken ließ.
Francesca lächelte milde. „Wie reizend von Ihnen. Aber ich fürchte, Sie wissen Ihre eigene Schönheit nicht zu schätzen. Kommen Sie, meine Liebe, gehen wir nach unten und blenden die Gäste mit unserem Auftreten.“
Sie hakte sich bei Constance unter, und gemeinsam begaben sie sich in den riesigen Ballsaal im Seitenflügel des Hauses, dessen hohe Fenster und Glastüren zur Terrasse weit offen standen, um die milde Nachtluft einzulassen.
Der Saal war in Weiß und Gold gehalten, drei ausladende Kristalllüster hingen von der vergoldeten Stuckdecke. Auch die edlen Wandleuchter waren mit glitzernden Kristallbehängen geschmückt. Auf einem Podium an der Stirnseite des Raums, halb verborgen hinter ausladenden Palmen und Grünpflanzen, spielte ein Orchester zum Tanz auf. Überall im Saal verteilt standen hohe Vasen gefüllt mit üppigen Rosenbouquets, die ihren süßen Duft verbreiteten.
Constance verharrte und bestaunte versunken den prächtigen Anblick. Es war der schönste Ball, den sie je besucht hatte, wobei sie nicht genau zu sagen gewusst hätte, wieso ihr alles so märchenhaft schön erschien. Vielleicht verklärte ihre Begeisterung und erwartungsfrohe Hochstimmung die Wirklichkeit.
Während die Freundinnen durch den Saal flanierten, begrüßte Francesca Gäste aus der Nachbarschaft, von denen die meisten nur für den Ball angereist waren, um am nächsten Morgen wieder nach Hause zu fahren.
An einer offenen Flügeltür zur Terrasse begegneten sie dem Duke of Rochford, der wie gewohnt eine makellos elegante Erscheinung abgab. An seiner Seite befand sich eine junge Dame, deren lebhaftes Mienenspiel einen starken Kontrast bildete zu seinen wie aus Stein gemeißelten markanten Gesichtszügen. Dennoch ließ sich eine Familienähnlichkeit nicht leugnen.
Der Duke verneigte sich höflich und stellte Constance seine Begleiterin vor. „Miss Woodley, ich möchte Sie mit meiner Schwester Lady Calandra bekannt machen.“
„Mylady, es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen“, grüßte Constance die junge Dame, die ihr ein strahlendes Lächeln schenkte.
„Das Vergnügen ist ganz meinerseits.“ Calandra, deren schwarze Augen heiter funkelten, streckte Constance unbefangen die Hand hin. „Ich habe mich sehr auf diesen Abend gefreut. Ich verbrachte den ganzen letzten Monat mit meiner Großmama in Bath und habe mich schrecklich gelangweilt. Mein einziger Lichtblick war die Vorfreude auf dieses Fest, von dem Sinclair mir erzählt hatte.“
Lady Calandra war im Gegensatz zu ihrem Bruder ein zierliches Persönchen, ihr Haar schimmerte ebenso tiefschwarz wie das des Dukes, und ihre Augen leuchteten ebenso dunkel wie seine. Ihre ebenmäßig fein geschnittenen Gesichtszüge wurden von zwei charmanten Grübchen in den Wangen geziert.
Sie plauderte mit Francesca und Constance in unbeschwerter Offenheit, mit der sie sich gleichfalls von der eher verschlossenen Art des Dukes unterschied. Deutlich jünger als Rochford, schien sie keineswegs bewundernd zu ihm aufzuschauen, was Constance ein wenig überraschte.
„Sie müssen mich bald besuchen“, bat Calandra Constance eindringlich. „Ich bin ganz allein in dem riesigen Haus – bis auf Rochford natürlich, mit dem allerdings kaum etwas
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