Ein Kuss zum Dessert (German Edition)
bestickt war. An jedem anderen hätte dieser Morgenmantel lächerlich ausgesehen. Sein Haar war zerzaust, die Augen halb geschlossen.
„Hallo, Carlo. Habe ich dich geweckt?“
„June!“ Schnell schluckte er den Fluch herunter, mit dem er den Störenfried hatte bedenken wollen, dann zog er sie in seine Arme. „Welche Überraschung!“ Er küsste sie auf die Wangen, dann schob er sie ein wenig von sich weg. „Aber warum überraschst du mich in der Morgendämmerung?“
„Es ist schon nach zehn.“
„Wenn man erst um fünf Uhr ins Bett findet, dann ist zehn die Morgendämmerung. Aber komm rein, komm rein. Ich habe ganz vergessen, dass du zu Gravantis Geburtstag kommst.“
Von draußen war Carlos Haus lediglich vornehm. Drinnen jedoch war es luxuriös. In der großen Eingangshalle herrschten Marmor und Gold vor und verrieten seine Vorliebe für alles Kostspielige. Durch einen großen Bogen gingen sie in den Wohnbereich hinüber, in dem sich die Schätze aufhäuften, die zufriedene Kunden – und auch Frauen – ihm geschenkt hatten. Carlo besaß das Talent, sich Frauen auszusuchen, die seine Freundinnen blieben, auch wenn sie nicht länger seine Geliebten waren.
Die Fenster wurden von Brokatvorhängen gerahmt, auf dem Boden lagen orientalische Teppiche, ein Tintoretto hing an der Wand. Zwei riesige Sofas waren mit Kissen überladen, neben einem saß ein Löwe aus Alabaster. Der große Kronleuchter spiegeltedas Licht in seinen Tausenden von Kristallen wider.
Mit dem Finger strich June über den Rand einer wunderschönen blauweißen chinesischen Vase. „Neu?“
„Sì.“
„Medici?“
„Aber natürlich. Ein Geschenk von einer … Freundin.“
„Deine Freundinnen sind ja immer bemerkenswert großzügig.“
Er grinste. „Aber das bin ich doch auch.“
„Carlo?“
Die etwas rauchige, ungeduldige Stimme kam oben von der Treppe. Carlo sah nach oben, blickte dann June an und grinste wieder.
June zog ihre Jacke aus. „Eine Freundin, nehme ich an.“
„Gib mir nur einen kleinen Augenblick, cara.“ Schon während er sprach, lief er zur Treppe. „Vielleicht könntest du in der Küche etwas Kaffee machen.“
„Und so aus dem Weg gehen“, beendete June den Satz für Carlo. Sie nahm ihren Koffer mit in die Küche. Es hatte keinen Zweck, Carlo auch noch mit einer Erklärung für ihr Gepäck seiner Freundin gegenüber zu belasten.
Die Küche war genauso großartig wie der Rest des Hauses, June kannte sich hier beinahe genauso gut aus wie in ihrer eigenen Küche. Zwei Herde standen in dieser Küche sowie ein riesiger Kühlschrank. Es gab zwei Spülen und einen Geschirrspüler. Carlo Franconi tat alles, was er tat, in großem Rahmen.
June suchte im Schrank nach Kaffeebohnen und einer Kaffeemühle. Bei Carlo würde es sicher noch einen Augenblick dauern, dachte sie und entschloss sich, Crêpes zu backen.
Sie war gerade mit allem fertig, als er in die Küche zurückkam. „Ah, Bella, du kochst für mich. Welch große Ehre.“
„Ich fühlte mich ein wenig schuldig, weil ich dich heute Morgen gestört habe. Außerdem war ich hungrig.“ Sie stellte die mit warmen Äpfeln und Zimt gefüllten Crêpes auf den Tisch. „Ich sollte mich entschuldigen, weil ich dich so einfach überfalle, ohne mich anzumelden. War deine Freundin böse?“
Er strahlte sie an, als er sich setzte. „Du kennst mich anscheinend immer noch nicht gut genug.“
„Scusa.“ Sie reichte ihm die Sahne. „Wir werden also bei Enricos Geburtstag zusammenarbeiten.“
„Ich werde Kalbfleisch mit Spaghetti machen. Enrico hat eine Schwäche für meine Spaghetti. Jeden Freitag kommt er in mein Restaurant.“ Carlo begann zu essen. „Und du wirst den Nachtisch machen.“
„Einen Geburtstagskuchen.“ June trank ihren Kaffee, während die Crêpes auf ihrem Teller kalt wurden. Sie hatte plötzlich keinen Appetit mehr. „Enrico wollte etwas ganz Besonderes, nur für sich allein. Und da ich seine Vorliebe für Schokolade und Schlagsahne kenne, ist es mir nicht schwergefallen, mir etwas für ihn auszudenken.“
„Aber das Essen ist doch erst in zwei Tagen. Warum bist du so früh gekommen?“
June zuckte mit den Schultern. „Ich wollte ein wenig Zeit für mich ha ben.“
„Verstehe.“ Und er glaubte wirklich zu verstehen. June sah schlecht aus, hatte Ränder unter den Augen. Das eindeutigste Anzeichen für Liebeskummer. „Geht in Philadelphia alles gut?“
„Der Umbau ist fertig, die neuen Speisekarten sind gedruckt. Ich denke, das
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