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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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Kämpfe stattfanden, die sechzig Menschenleben forderten. Es ging das Gerücht um, dass führende PNU -Hardliner Mittel an kriminelle Organisationen umleiteten, etwa an die berüchtigten Mungiki, eine Kikuyu-Bande. Die Mungiki kamen jetzt aus den Slums heraus und drangen in die Städte ein, um allen, die Kikuyu bedrohen wollten, eine brutale Warnung zukommen zu lassen. Und unterdessen spielten die Politiker Stühlerücken.
    Nachdem die Chefs die Sitzung eröffnet hatten, ermahnten wir die Verhandlungsteams, dass sie sich trotz ihrer tiefen Differenzen wenigstens auf einige grundlegende Dinge einigen könnten: dass etwas unternommen werden müsse, um die Gewalttätigkeiten zu beenden und die humanitäre Krise zu bewältigen, und dass etwas getan werden müsse, um die politische Krise aufgrund der Meinungsverschiedenheiten zwischen PNU und ODM zu lösen. Ferner erklärten wir, dass die landesweite Krise offenbar Ursachen habe, die seit langem bestünden. Diese müssten untersucht werden, um Empfehlungen für eine Reform geben zu können, durch die sie beseitigt werden könnten. Die Verhandlungsparteien stimmten dem zu, und wir wandelten unsere Ausführungen in eine vier Punkte umfassende Agenda für den gesamten KNDR -Prozess um, wobei der vierte Punkt ein langfristiges Reformprogramm für das politische System Kenias war.
    Am 1. Februar legten wir diese Vier-Punkte-Agenda des KNDR -Prozesses zur Unterzeichnung vor und gaben sie anschließend an die Öffentlichkeit, wie wir es in den folgenden Tagen mit allen Erklärungen, auf die man sich geeinigt hatte, taten. Kibaki befand sich an jenem Tag beim AU -Gipfel in Äthiopien, wo er wiederholt den Standpunkt der Opposition angriff und lediglich Vorschläge machte, die von der ODM bereits zurückgewiesen worden waren. Unser Dokument war zwar nur eine ernsthafte Verhandlungsgrundlage, aber wir setzten unsere Strategie fort, Vertrauen aufzubauen, indem wir der Presse den Eindruck vermittelten, es würden Fortschritte gemacht. Wir mussten alles tun, was wir konnten, um die Stimmung zu beruhigen.
    Für alle, die sich im Land aufhielten, war der Vergleich mit Ruanda nicht überzogen, ganz im Gegenteil. Die Furcht, dass es zu einem Blutvergießen von ähnlichem Ausmaß wie in Ruanda kommen könnte, war während des Schlichtungsprozesses ständig zu spüren. Sie stellte eine zusätzliche Gefahr dar, denn sie war zwar ein Anreiz, die Suche nach einer politischen Lösung erfolgreich abzuschließen, verleitete aber auch dazu, sich auf einen bevorstehenden Zusammenbruch der Institutionen des Landes vorzubereiten. Jede Verstärkung dieses morbiden Pessimismus konnte selbst weitere Gewalttätigkeiten auslösen, da die verschiedenen Gruppen angesichts blutiger Aussichten aggressiv bemüht wären, ihre Interessen zu verteidigten, wodurch vermehrt Anlässe für Gegensätze, Zusammenstöße und tödliche Auseinandersetzungen auftreten würden.
    Nach der Wiedereinführung des Mehrparteiensystems in Kenia im Jahr 1992 war jede allgemeine Wahl – mit Ausnahme derjenigen von 2002, als sich kein Amtsinhaber zur Wiederwahl gestellt hatte – von Gewalttätigkeiten begleitet gewesen. Doch Ausmaß und Intensität der jüngsten Gewaltwelle schockierten die Kenianer und die ganze Welt. Die politische Gewalt hatte einen anderen Charakter angenommen und erschütterte die Fundamente des Landes in einer Weise, dass es eine existentielle Gefahr für Kenia darstellte. Infolgedessen mischten sich in die erwartungsvolle Stimmung der Öffentlichkeit Besorgnis und Furcht vor dem Unbekannten, das nach einem Scheitern der Schlichtung folgen würde.
    Am 8. Februar erschien in einer kenianischen Zeitung ein an mich gerichteter offener Brief einer Redakteurin des Blattes. Sie verwies auf die verbreitete Furcht, ich könnte wegen der Unnachgiebigkeit der beteiligten Politiker meine Mission in Kenia aufgeben, und beschrieb dann eine Stimmung, die vermutlich viele ihrer Landsleute teilten:
    »Sie haben die Unsicherheit gesehen, die die Kenianer derart verletzlich macht. Ich, zum Beispiel, fühle mich wieder wie ein kleines Mädchen, das seinen Papa bittet, sie nicht im Dunkeln allein zu lassen, weil sonst ein Ungeheuer sie fressen würde. Herr Annan, Sie haben gesehen, wie das Ungeheuer dieses Land verwüstet. Sie haben das Ausmaß der Gewalt gesehen … Sie und die liebenswürdige Graça – die ich für den Posten der Mutter des Kontinents nominieren möchte – haben bei den Kenianern eine Saite berührt … Sie

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