Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
oder der Konfliktparteien keine Glaubwürdigkeit. Aber die Aussicht auf eine Machtteilung war für die Unterhändler immer noch abschreckend; ein solches Modell war der kenianischen Politik fremd. Vor diesem Hintergrund lud ich am 13. Februar Gernot Erler, den Staatsminister beim deutschen Außenministerium, ein, vor den Unterhändlern über seine Erfahrungen in einer Koalitionsregierung zu sprechen, die in Deutschland eine sehr effektive Basis für die Politik bildete und ein erprobtes Mittel war, wenn es um die Lösung politischer Krisen ging.
Schließlich einigten sich die Unterhändler auf eine Vereinbarung, die am 14. Februar unterzeichnet wurde. Darin hieß es, angesichts der »ernsten Krise im Land« stimme man darin überein, »dass eine politische Verständigung nötig ist, um die nationale Aussöhnung und Einigkeit zu fördern«. Neben diesem bahnbrechenden Konsens enthielt das Dokument einen Reformplan, der unter anderem die Identifizierung und Strafverfolgung von Gewalttätern sowie die Bildung einer Wahrheits-, Gerechtigkeits- und Versöhnungskommission sowie andere Justizreformen umfasste. Das alles war aus meiner Sicht für den langfristigen Heilungsprozess von den Folgen der traumatischen Ereignisse unbedingt erforderlich. Deshalb bildete das schlichte Dokument vom 14. Februar nicht nur den Auftakt zur Beendigung der akuten Krise, sondern legte auch den Samen für einen umfassenden politischen und gesamtgesellschaftlichen Reformprozess.
Laut Rotem Kreuz war die Zahl der Todesopfer in Kenia zu jenem Zeitpunkt auf über eintausend gestiegen. Hinzu kam ein massiver Flüchtlingsstrom aufgrund der von bewaffneten Banden ausgehenden Gefahren – der Brandschatzung von Dörfern, der Plünderung von Bauernhöfen und Wohnhäusern sowie der verbreiteten sexuellen Gewalt gegen Männer und Frauen. Unterdessen hatten wir in Bezug auf die konkrete Ausformung des politischen Deals immer noch keine Fortschritte erzielt, aber wenigstens gab es jetzt eine Einigung über den Weg aus der Krise: eine Koalitionsregierung. Für mich war es eine große Erleichterung, nicht zuletzt, weil ich mir sicher war, dass die anderen Optionen, die zur Verhandlung gestanden hatten, eine Eskalation der Gewalt ausgelöst hätten.
Mittlerweile hielt ich mich bereits wesentlich länger in Kenia auf, als ich erwartet hatte, und noch war kein Ende abzusehen. Ich war nach der Antibiotikabehandlung physisch ausgelaugt, doch bestand keine Aussicht auf eine Atempause. Ich fühlte mich wie ein Jäger: Wenn man ein Wild in die Enge treiben will, kann jedes Nachlassen der eigenen Anstrengungen dazu führen, dass es einem durch die Lappen geht.
Am 25. Februar steckten die Verhandlungen noch immer fest. Bis hierhin hatten Geduld und Ausdauer als Mittel ausgereicht, doch jetzt war mehr vonnöten. An diesem Vormittag versuchten die Unterhändler und die Vermittler, mich eingeschlossen, vier Stunden lang vergeblich, eine Einigung über die Machtteilung in der Koalition zu erreichen. Inzwischen war klar, wie der Machtteilungsplan aussehen würde: Kibaki sollte Präsident bleiben, während Odinga den neu zu schaffenden Posten eines Ministerpräsidenten übernehmen sollte; zugleich sollte entsprechend der Sitzverteilung im Parlament ein Koalitionskabinett aus PNU - und ODM -Ministern gebildet werden. Umstritten war lediglich, welche Kompetenzen der Ministerpräsident erhalten sollte. Insbesondere die PNU blockierte jeden Fortschritt in dieser Frage und beharrte auf ihrem Standpunkt, dass die Macht des Präsidenten nicht geschmälert werden dürfe und die Ministerien nicht aufgeteilt werden sollten.
Frustriert beschloss ich, die PNU und die ODM öffentlich unter Druck zu setzen, indem ich mich mit der Erklärung an die Presse wandte, ich sei zu dem Schluss gelangt, dass die Unterhändler »nicht in der Lage sind, die anstehenden Fragen zu lösen«. Es sei an der Zeit, dass Kibaki und Odinga persönlich die Verhandlungen abschlössen, da es jetzt allein in der Verantwortung der Parteiführer liege, die Blockade zu überwinden.
Mein Schritt war ein Risiko, denn er hätte die negative Erwartung hervorrufen können, dass die Verhandlungen scheitern würden, was auf den Straßen und in den Slums einen Aufruhr entfachen konnte. Aber die Alternative wäre möglicherweise ein ergebnisloser Verhandlungsabbruch gewesen, der mit Sicherheit ein wesentlich größeres Blutbad ausgelöst und die Krise auf eine neue Konfliktstufe gehoben hätte. Irgendwie musste ich
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