Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Konsultation von Mitgliedsstaaten auszuarbeiten. So entstand der Bericht in einem kleinen Kreis von Mitarbeitern meines Büros. Die Mitgliedsstaaten würden über ein eventuelles Abkommen, das sie unterzeichnen müssten, entscheiden, aber wir wollten sicherstellen, dass der Text, der den Anfangspunkt und die Grundlage der Diskussion bilden würde, allein unser Werk war.
Wir wussten, dass der Bericht sowohl Biss haben als auch allgemeinverständlich sein musste. Anders als die meisten UN -Dokumente musste jeder ihn verstehen und sich mit ihm beschäftigen können, da der später benötigte Rechenschaftsmechanismus nur durch allgemeine Zugänglichkeit erzeugt werden konnte. Bei den großen Entwicklungsgipfeln und -konferenzen der neunziger Jahre – in Kopenhagen, Rio, Peking und andernorts – waren komplizierte, unverständlich formulierte Resolutionen beschlossen worden, die von niemandem konkret etwas forderten. Deshalb waren sie zwar wichtige Meilensteine auf dem Weg des sich herausbildenden internationalen Entwicklungskonsenses gewesen, hatten aber kaum substantielle Folgen gehabt. In unserem Bericht machten wir dagegen quantifizierbare, zeitgebundene Vorgaben für die Beseitigung der Armut, ausgehend von klaren, einfachen moralischen Zielen.
Ein weiteres wichtiges Element des Berichts war die Verwendung eines Armutsbegriffs, der fortschrittlicher war als derjenige, den man bis zu diesem Zeitpunkt auf höchster politischer Ebene benutzte. Armut ist kein eindimensionales Problem, das lediglich einen Mangel an Einkommen umfasst. Extreme Armut ist vielmehr ein komplexes, vielschichtiges Bündel von Phänomenen, die sich gegenseitig bedingen und verstärken, wie etwa die Verweigerung von Chancen in vielen Lebensbereichen. Sicherlich ist der Einkommensmangel ein Armutsmerkmal, aber auch der Mangel an Bildung, Gesundheitsversorgung, Nahrung, sauberem Trinkwasser, die Unterdrückung von Frauen und das Umweltelend sind Aspekte der Armut. Ein integraler Bestandteil extremer Armut ist zudem das Fehlen von äußerer Hilfe bei ihrer Bekämpfung. Im Bericht Wir, die Völker und in den Millenniumsentwicklungszielen wird all dies berücksichtigt.
Die im Bericht enthaltene Forderung nach beträchtlichem Engagement der UN -Mitgliedsstaaten bedeutete in der Realität der internationalen Politik freilich, dass sie ihm wahrscheinlich niemals zustimmen würden. Aber es gab Mittel, mit denen wir Druck in unserem Sinne ausüben konnten. Jetzt ernteten wir die Früchte unserer Zusammenarbeit mit der internationalen Zivilgesellschaft. Die NGO Oxfam zum Beispiel sammelte durch ihre Unterstützung für die Kampagne »Make Poverty History« zwei Millionen Unterschriften, die sie mir in New York während des Millenniumsgipfels übergab. Parallel zu der Millenniumsversammlung der UN -Mitgliedsstaaten veranstalteten wir eine Reihe weiterer Treffen: eine Parlamentarische Versammlung von Vertretern internationaler NGO s, ein Treffen religiöser Führer aus aller Welt und eines von Vertretern der Parlamente der Mitgliedsstaaten (also nicht der Regierungen). Zusammen mit der Weltpresse bildeten diese Konferenzen ein moralisches Forum, durch das die nebenan tagenden Regierungsvertreter beeinflusst und unter Druck gesetzt werden konnten. Das war insofern besonders bedeutsam, da viele der beteiligten Organisationen Anhänger mit Verbindungen in die Länder hatten, deren Regierungsvertreter am Millenniumsgipfel teilnahmen.
Auch die Erwartungen der Öffentlichkeit wirkten in unsere Richtung. Die Aufmerksamkeit und die Zustimmung, die wir im Vorfeld des Millenniums aus aller Welt erfuhren, waren derart groß, dass der Millenniumsgipfel, auf dem mehr Staatsführer zusammentrafen als jemals zuvor (insgesamt 147), unter schärfster Beobachtung der Weltöffentlichkeit stattfand. Infolgedessen war bei den UN -Mitgliedsstaaten die Furcht zu verspüren, dass der Millenniumsgipfel ihrer Glaubwürdigkeit ernsthaft schaden könnte, wenn er zu wenig erreichte. Genährt wurde diese Sorge von der Versammlung zum fünfzigsten Jahrestag der Gründung der UNO , als zwar alle wichtigen Weltprobleme besprochen, aber keine Beschlüsse gefasst wurden, etwas zu deren Bewältigung zu unternehmen. Somit hatten die Staats- und Regierungschefs das feierliche Ereignis gewissermaßen unter einer dunklen Wolke verlassen.
Aber so, wie wir den Bericht Wir, die Völker gestaltet und formuliert hatten, würden sich die Mitgliedsstaaten, wenn sie tatsächlich eine Vereinbarung
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