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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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zeitgebundene und messbare Ziele festlegte. Sie wurden an einer Reihe von Vorgaben gemessen, die bis 2015 erreicht werden sollten. Durch die Unterschrift unter die Millenniumserklärung hatten die Mitgliedsstaaten nicht nur ein rhetorisches Versprechen abgegeben, sich für die Armutsbekämpfung einzusetzen, sondern den Aufbau eines Systems ermöglicht, durch das sie vor aller Welt öffentlich zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Zusätzliche Macht erhielt es durch die Einfachheit der Ziele. Anders als die meisten Abkommen und Kommuniqués der UNO waren sie für jeden verständlich, vom führenden Politiker in der Hauptstadt der reichsten Nation der Welt bis zu dem Mann oder der Frau im ärmsten Slum. Und sie drückten menschliche Bedürfnisse aus, die derart grundlegend und evident waren, dass niemand, der von ihnen sprach oder über sie nachdachte, sie leugnen konnte.
    Mit dieser universalen Einfachheit und der Verpflichtung auf quantifizierbare Zielvorgaben hatten sich die UN -Mitgliedsstaaten an eine unglaublich machtvolle globale Idee gebunden. Viele von ihnen taten dies, wie ich vermute, unwissentlich, ohne die Kraft dessen zu erkennen, was sie in der Erwartung, es würde wie so viele vorangegangene UN -Erklärungen eines raschen Todes sterben, ins Leben riefen. In diesem Fall wurden sie von dem, was folgte, sicherlich überrascht. Die Millenniumsentwicklungsziele wurden zu einem übergreifenden Rahmen der gesamten internationalen Entwicklungsagenda. Ein Jahrzehnt nach ihrer Verkündung, auf dem UN -Gipfel im September 2010, standen sie noch immer im Mittelpunkt globaler Anstrengungen: Alle Entwicklungsorganisationen, alle beteiligten Regierungen sowie zahllose andere Partner und Unternehmen bemühten sich überall auf dem Planeten darum, die Ziele zu erreichen.
    Niemand, der auf die Millenniumserklärung zurückblickt, wird ihre Bedeutung leugnen können. Angesichts der vielen Partner, die neben den UN -Mitgliedsstaaten moralisch und förmlich in das Projekt einbezogen worden sind, und des gemeinsamen Interesses so vieler ansonsten unterschiedlicher Gemeinschaften überall auf der Welt war es nicht nur eine bahnbrechende UN -Erklärung: Vielmehr zeigte sie alle Merkmale einer globalen sozialen Bewegung.
    »Was antworten Sie denjenigen, die sagen, Arme werde es immer geben?«, fragte ich. Damit gab ich dem Gespräch plötzlich eine andere Richtung. Es war der 2. Juli 2005, und ich hatte das Oberhaupt der anglikanischen Kirche, Rowan Williams, den Erzbischof von Canterbury, angerufen, um vor dem bevorstehenden G8-Gipfel in Gleneagles den Kontakt zu ihm herzustellen. In Wirklichkeit brauchte ich jedoch seinen geistlichen Rat, denn wieder einmal war ich mit der Auffassung konfrontiert worden, dass die Kampagne zur Beseitigung der Armut unmöglich sei. Sogar die Bibel verurteilte sie zum Scheitern, hieß es doch im 5. Buch Mose, 15,11: »Die Armen werden niemals ganz aus deinem Land verschwinden.«
    »Zum Teil«, erklärte der Erzbischof, »beruht dies auf dem Gedanken, dass die Armen ein Produkt der menschlichen Sünde seien: dass es immer arme Menschen geben wird, weil es immer Sünder geben wird.«
    »Wir sollten nicht selbstgefällig sein«, erwiderte ich, auf der Suche nach einem Weg, der diesen Vorwand für das Nichtstun hinfällig machte.
    Der Erzbischof führte seine Ansicht breiter aus. »Die Idee der gemeinsamen Rechenschaftspflicht und der sozialen Verantwortung wird im Alten Testament erklärt und kann auf das Thema der Armenhilfe angewandt werden. Deuteronomium 15,4: ›Doch eigentlich sollte es bei dir gar keine Armen geben …‹ Deshalb sollte Deuteronomium 15,11 als Mahnung verstanden werden, dass die Armen zur Gesellschaft gehören und nicht ignoriert werden sollten. Es soll nicht heißen, dass wir uns nicht bemühen können, ihr Elend zu beenden.« Ich dankte ihm für dieses Argument, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich es brauchen würde.
    Indem sie die Menschen unwiderruflich in den Mittelpunkt stellten, lösten die Millenniumsentwicklungsziele weltweit eine beispiellose Begeisterung, Dynamik und Zusammenarbeit aus. Aber sie bedeuteten nicht das Ende unseres Kampfs mit den alten Entwicklungsproblemen, von denen manche sogar bis zur Bibel zurückreichten. Letzteres war eine Mahnung, dass in der internationalen Entwicklung stets die Gefahr des Rückfalls in die unaufgeklärten und engstirnigen Ansichten der Vergangenheit besteht und immer bestehen wird. Nach dem Millenniumsgipfel spürten

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