Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
infolge der Existenz der Millenniumsentwicklungsziele und der Anstrengungen, mit denen sie erreicht werden sollen, bereits riesige Fortschritte gemacht worden. Im Endeffekt wird die völlige Beseitigung extremer Armut angestrebt, aber schon auf dem Weg dorthin geht es darum, die Dinge besser zu machen und dafür alles zu tun, was man kann. Diese Bemühungen können die Millenniumsentwicklungsziele nach 2015 weiterhin fördern. Es besteht allerdings die Gefahr, dass sie neu zur Disposition gestellt werden. Nach meiner Erfahrung führte die Neuverhandlung progressiver internationaler Maßnahmen in der Regel nicht zu Fortschritten, sondern zu einer Verwässerung. Manche mögen durchaus zu Recht wünschen, dass die Millenniumsentwicklungsziele mehr umfassen, als es der Fall ist. Aber wir dürfen nicht riskieren, dass auch nur eine ihrer Komponenten ausgehöhlt wird.
Heute sind die Millenniumsentwicklungsziele neuen Gefahren ausgesetzt, die es in der Zeit, als sie aufgestellt wurden, entweder noch nicht gab oder die damals nicht so deutlich in Erscheinung traten. Dazu gehören der internationale Rauschgifthandel, der Klimawandel und die globale Wirtschaftskrise. Auf der nächsten Stufe des Kampfs gegen die Armut müssen diese Gefahren mit berücksichtigt werden. Der internationale Rauschgifthandel hat in den Entwicklungsländern, was seine Macht und seinen Einfallsreichtum angeht, eine neue Qualität angenommen und droht in den Ländern, in denen er Fuß fasst, die Entwicklung umzukehren. Um die Entwicklung in einigen der gefährdetsten Länder zu schützen, sind konzertierte Anstrengungen der Weltgemeinschaft bei der Vorbeugung, Eindämmung und Zerstörung der Netzwerke des organisierten Verbrechens erforderlich.
Von weit größerer Bedeutung ist jedoch der Klimawandel, dessen Folgen bereits überall zu beobachten sind. Veränderungen des Wetterverhaltens und der weitere Anstieg des Meeresspiegels sind heute unvermeidbar. Den armen Ländern, die darunter zu leiden haben werden, muss geholfen werden, damit sie sich auf die Veränderungen einstellen und auf das Kommende vorbereiten können. Ohne eine entsprechende globale Anstrengung könnte diese neue Bedrohung alle bisher erreichten Entwicklungsfortschritte zunichtemachen.
Schließlich ist da noch der globale Wirtschaftsabschwung nach der von der Kreditklemme ausgelösten Finanzkrise. Er droht eine drastische, nachhaltige Reduzierung der Unterstützung der Geberländer für die internationale Entwicklung nach sich zu ziehen. Die Millenniumsentwicklungsziele wurden in einer Zeit zunehmender Prosperität der reichen Länder beschlossen, doch man sollte nicht dem Fehlschluss erliegen, dass die ökonomisch angespannte Lage notwendigerweise auch die Armutsbekämpfung erschweren müsse. Der Ökonom und Nobelpreisträger Amartya Sen hat Beispiele aus der Geschichte angeführt, die zeigen, dass die Folgen für die Armen weniger durch das Vorhandensein von Ressourcen bestimmt werden als vielmehr durch die ihrer Nutzung zugrunde liegenden Werte. Während des Zweiten Weltkriegs waren in Großbritannien aufgrund des Konflikts weniger Ressourcen vorhanden, insbesondere was die Nettoverfügbarkeit von Lebensmitteln betraf. Trotzdem nahmen (abgesehen von den durch den Krieg verursachten Todesfällen) der Ernährungszustand und die Lebenserwartung quer durch die Bevölkerung sogar zu, und zwar erheblich. Anstatt eine Verschlechterung der Fürsorge und des Zustands der Gefährdeten hervorzurufen, gaben die Entbehrungen der Kriegszeit einen Anstoß, neue soziale Arrangements zu treffen; man half einander und teilte miteinander, was zu einer radikalen Umgestaltung der Lebensmittelverteilung und des Gesundheitswesens führte – mit erstaunlichen Resultaten. Den Ausschlag gab etwas sehr Einfaches: ein Wandel in der Einstellung gegenüber dem Teilen.
Daraus lässt sich eine wichtige Lehre für die Jahre des Wirtschaftsabschwungs und knapper Haushalte ziehen. Denn es taucht unsere Verantwortung in ein anderes Licht. Das Problem erscheint nicht mehr als eine Frage der Ressourcen, sondern als eine Frage des Willens und der Bereitschaft, die vorhandenen Ressourcen zu teilen. Letztendlich lautet die Lehre aus der Geschichte der Millenniumsentwicklungsziele, dass wir alle Verantwortung tragen.
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DIE BRUCHLINIE
DER WELT
Frieden schaffen im
Nahen Osten
»Geben Sie mir Siedlungen, dann gebe ich Ihnen Arafat«, sagte Chris Patten zu Colin Powell. Man schrieb das Jahr 2004, und wir befanden
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