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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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die sich in einem Wort zusammenfassen lassen: Demütigung. Wie ich in meiner letzten Rede zum Nahostkonflikt im Sicherheitsrat im Dezember 2006 ausführte, müssen die Israelis sich dieser grundlegenden palästinensischen Klage stellen: »Bei der Errichtung des Staates Israel wurden Hunderttausende von palästinensischen Familien enteignet und zu Flüchtlingen gemacht, und 19 Jahre später folgte eine Militärokkupation, durch die weitere Hunderttausende von Palästinensern unter israelische Herrschaft kamen.« Auch die Öffentlichkeit und das politische System der Vereinigten Staaten müssen einsehen, dass eine automatische und häufig ohne weiteres Nachdenken gewährte Unterstützung jeder israelischen Aktion und Politik auf lange Sicht niemandem nutzt.
    Andererseits kann ich die ebenso schlüssigen wie legitimen Argumente der Israelis durchaus nachvollziehen. Vor dem Hintergrund einer tragischen Geschichte und angesichts einer heiklen geographischen Lage sahen sie sich von Feinden umzingelt und nur eine einzige militärische Niederlage von der eigenen Vernichtung entfernt. Manche von ihnen bezweifelten, dass eine Einigung mit den Palästinensern im Bereich des Möglichen lag, denn »das Höchste, was wir anbieten können«, so ihre Einschätzung, »ist weniger als das Mindeste dessen, was die Palästinenser akzeptieren können«. Andere fürchteten den Kontrollverlust, den die Anerkennung der palästinensischen Souveränität mit sich bringen würde, und zweifelten, ob eine Einigung die Feindseligkeit ihnen gegenüber auf Dauer beenden würde. Nach Ansicht vieler Israelis hatte der jüdische Anspruch auf das gesamte Land mehr Gewicht als der palästinensische Anspruch auf einen Teil von ihm – was ich als Argument niemals billigen konnte. Aber die meisten Israelis waren pragmatisch genug, um nach einem Weg zu suchen, wie die Palästinenser zufriedengestellt und das Land geteilt werden könnten – wenn die Existenz und Sicherheit Israels gewährleistet waren.
    Ich musste mich mit dem Eindruck der Israelis auseinandersetzen, dass die UNO die Feindseligkeit ihnen gegenüber verfestige – womit sie nicht immer unrecht hatten. In meiner letzten Rede zum Nahen Osten im Sicherheitsrat fasste ich zusammen, was ich im Lauf von Jahrzehnten aus der Art, wie die zwischenstaatlichen Organe der UNO mit dem Thema umgingen, gelernt hatte. Viele, erklärte ich, mochten damit zufrieden gewesen sein, dass die Generalversammlung jahrzehntelang in einer Resolution nach der anderen das Verhalten Israels verurteilt hatte. Aber welche greifbare Erleichterung, welchen Nutzen hatten sie den Palästinensern gebracht? Welchen Einfluss hatten sie auf die israelische Politik gehabt, abgesehen davon, dass sie Israel in der Überzeugung bestärkt hatten, dass die UNO zu parteiisch sei, um ihr eine bedeutende Rolle im nahöstlichen Friedensprozess zuzugestehen?
    Diese Äußerungen bildeten den Höhepunkt eines Jahrzehnts, in dem ich versucht hatte, auf die anderen Konfliktparteien zuzugehen. Bei meinem ersten Israelbesuch im Jahr 1998 versprach ich, mich nach Kräften zu bemühen, in den Beziehungen zwischen Israel und den Vereinten Nationen eine neue Ära einzuläuten. Israel war das einzige UN -Mitglied, das keiner Regionalgruppe angehörte; deshalb forderte ich eine Normalisierung seines Status innerhalb der Vereinten Nationen. Ich verurteilte den Antisemitismus, der von manchen UN -Mitgliedsstaaten auf den Podien in New York und Genf zum Ausdruck gebracht wurde, und bedauerte die Generalversammlungsresolution von 1975, in welcher der Zionismus mit Rassismus gleichgesetzt wurde. Keiner meiner Vorgänger hatte Ähnliches gesagt – immerhin bedeutete es, Kritik an Mitgliedsstaaten zu üben.
    Während eines großen Teils meiner Amtszeit stand ich zudem in einem lebhaften Dialog mit führenden Vertretern des amerikanischen Judentums. Zweifellos wollten sie mich beeinflussen, aber auch ich versuchte umgekehrt, sie zu beeinflussen. Mein bester Freund unter ihnen war der kalifornische Kongressabgeordnete Tom Lantos – ein beherzter Verteidiger der Menschenrechte, der Vereinten Nationen und Israels –, der von Nanes Onkel Raoul Wallenberg vor dem Holocaust gerettet worden war. In der Öl-für-Lebensmittel-Krise nach dem Irakkrieg war auf seine Unterstützung stets Verlass. Außerdem ging ich mit Vergnügen über das diplomatische Protokoll hinweg, indem ich israelische Botschafter zusammen mit Diplomaten aus der arabischen Welt in mein Haus zum

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