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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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die politische und soziale Rolle der Bewegung im Libanon zu konzentrieren und den bewaffneten Widerstand einzustellen – was ich auch von Syrien und vom Iran verlangte. Niemand war ganz zufrieden, aber der Rückzug verlief besser, als man hätte erwarten können, und ich hatte den Eindruck, dass mich am Ende alle Parteien als glaub- und vertrauenswürdig betrachteten.
    In Israel hatte Yossi Beilin – ein Politiker, der für den Frieden kämpft, und ein Freund, dessen Rat und Weitblick stets anregend sind – an der Spitze einer Bewegung gestanden, die sich für den Rückzug aus dem Libanon einsetzte. Er zeigte mir stolz ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Friedlicher Rückzug aus dem Libanon«. Nach seiner Ansicht war ein großer Spannungsherd beseitigt worden, und auch ich hatte damals das Gefühl, dass wir das Schlimmste überstanden hatten.
    Aber ich verstand auch die Sorgen der Ägypter, die Arafat teilte. Welches Signal wurde dadurch ausgesendet, dass Israel den Libanon nach dem »Widerstand« der Hisbollah verlassen hatte, aber für die Palästinenser nach sieben Jahren des Friedensprozesses keine Lösung in Sicht war? Die Schlussfolgerung lautete jedoch nicht, dass Israel im Libanon hätte bleiben sollen, sondern dass Israel sich erneut um einen Frieden mit Syrien bemühen und, was noch wichtiger war, rasch entschiedene Schritte unternehmen sollte, um eine Einigung mit den Palästinensern zu erzielen.
    In den Abgrund: Camp David und die Zweite Intifada
    Barak hatte in der Tat vor, in Bezug auf die Palästinenser rasch zu handeln. Binnen weniger Wochen überzeugte er US -Präsident Clinton davon, ihn und Arafat nach Camp David einzuladen, ohne dass dafür ernsthafte Vorbereitungen getroffen waren. Die beiden Seiten sollten zusammengebracht werden, um, wenn möglich, die heikelsten Probleme des Konflikts zu lösen – die Grenzen, Jerusalem, die Flüchtlinge, die Sicherheit –, allesamt Fragen, welche die beiden Führer noch nie eingehend miteinander diskutiert hatten. Arafat, der Geduld üben musste, während Barak seine Aufmerksamkeit erst Syrien und dann dem Libanon zugewandt hatte, war nicht erpicht darauf, nach Camp David zu reisen, wie er mir im Juni in seinem Büro in der Mukata in Ramallah erklärte. »Wir sind nicht bereit«, sagte er. »Unter den gegenwärtigen Umständen wird das Treffen scheitern, und wir haben nur einen Schuss!« Er bat mich, den Amerikanern von einer Einladung der Konfliktparteien nach Camp David abzuraten. Ich verstand, warum.
    Es ist der Mythos entstanden, Israel habe in Camp David ein großzügiges Angebot gemacht, aber es habe sich gezeigt, dass es keinen palästinensischen Partner für einen Frieden gab. Mir ist durchaus klar, dass Arafat in Camp David kreativer hätte verhandeln können, anstatt nur auf israelische Vorschläge zu warten. Ich weiß auch, dass Barak weiter ging als jeder andere israelische Führer zuvor; immerhin hatte kein israelischer Staatsmann jemals die Schaffung eines wie auch immer gearteten palästinensischen Staates vorgeschlagen. Aber Barak war nicht bereit, in Erwägung zu ziehen, was meiner Ansicht nach für eine territoriale Lösung politisch unerlässlich ist: einen palästinensischen Staat, der aus dem Äquivalent von hundert Prozent der Westbank und des Gazastreifens in den Grenzen von vor 1967 bestünde – also aus 22 Prozent des historischen Palästina –, mit einem zusammenhängenden Staatsgebiet auf der Westbank und einem Jerusalem, an dem beide Seiten einen angemessenen Anteil hätten.
    Im Übrigen war ohne eine Teilnahme der arabischen Länder an dem Gipfel nicht zu erwarten, dass Arafat in Bezug auf Jerusalem ein Risiko eingehen würde, worauf ich Madeleine Albright damals hingewiesen habe. Ich bewunderte Präsident Clinton dafür, dass er Frieden zu stiften versuchte und auch nicht aufgab, nachdem der Gipfel gescheitert war. Aber es war ein Fehler, dass sich die Amerikaner auf die Seite von Barak schlugen und Arafat die Schuld am Scheitern gaben. Der Gipfel offenbarte die Grenzen von rein amerikanischen Friedensinitiativen und ließ in der Region den Chor derjenigen anwachsen, die verlangten, mehr Teilnehmer an den Verhandlungstisch zum Nahostkonflikt zu holen.
    Wenig später, Ende 2000, brach die zweite palästinensische Intifada aus. Die Konfliktparteien und die Historiker werden weiterhin darüber streiten, wie sie begann, aber ich hatte damals den Eindruck, dass einerseits spontane Reaktionen und Provokationen eine Rolle spielten,

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