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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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andererseits manches auch mit Vorbedacht geschah. Auf jeden Fall schien Arafat, nachdem die Gewalttätigkeiten einmal begonnen hatten, eher auf ihrer Welle zu reiten, als den Versuch zu unternehmen, sie aufzuhalten, während Barak auf die schärfsten kontraproduktiven Maßnahmen zurückgriff, indem er Arafat beleidigte und mit exzessiver Gewalt gegen die Palästinenser vorging. Da beide Seiten immer mehr rote Linien überschritten, entstand ein Sturm der Gewalt, der sowohl beide Völker als auch den Friedensprozess in Mitleidenschaft zog. Die Fundamente des alltäglichen Lebens der Palästinenser, die bereits durch die lang anhaltende und gelegentlich brutale Besetzung brüchig geworden waren, zerbrachen endgültig – und mit ihnen ein Großteil der Friedenshoffnung, auf die sich gemäßigte Palästinenser gestützt hatten. Auch das israelische Friedenslager stand vor einem Trümmerhaufen, da die meisten Israelis zu der Überzeugung gelangt waren, dass es tatsächlich »keinen Partner« gab, und sich rechtsgerichteten Politikern zuwandten. Das vorher schon geringe Vertrauen zwischen Israelis und Palästinensern hatte sich restlos in Luft aufgelöst.
    Madeleine Albright brachte Barak und Arafat am 4. Oktober in Paris zusammen und versuchte vergeblich, einen Waffenstillstand zu vermitteln. Die Israelis wollten einfach nur einen Waffenstillstand, während die Palästinenser die Bildung einer internationalen Kommission unter der Schirmherrschaft der UNO forderten, die die Ursachen der Gewalttätigkeiten untersuchen sollte. Darüber hinaus bestanden sie, zum Teil auf Verlangen Kairos, darauf, dass die Verhandlungen in Ägypten stattfinden sollten. Ich hielt mich zum Zeitpunkt des Treffens in Paris auf und drängte die Amerikaner, die Gespräche nach Kairo zu verlegen, fand aber keine Zustimmung. Ich kehrte nach New York zurück, aber als sich die Situation immer weiter verschlechterte, beschloss ich, selbst nach Jerusalem zu reisen.
    Der Sicherheitsrat erwartete offenbar von mir, dass ich irgendetwas unternahm, auch wenn sich seine Mitglieder nicht darauf einigen konnten, was. Israel lehnte meine Intervention ab. »Der Ministerpräsident«, berichtete mir Rød-Larsen am Telefon, »hat mir nachdrücklich erklärt, dass Israel das UN -Flugzeug daran hindern werde, auf dem Flugplatz Ben Gurion zu landen.« Ich beschloss, trotzdem zu fliegen. Wenn die Israelis die Maschine des UN -Generalsekretärs aufhalten wollten, dann war das ihr Problem. Auf die Probe gestellt, erlaubten sie meinem Flugzeug am 8. Oktober dann doch zu landen, und ich wurde in einer hastig arrangierten Begrüßungszeremonie vom stellvertretenden Außenminister Shlomo Ben-Ami willkommen geheißen.
    Die nächsten zehn Tage, in denen ich ständig zwischen Arafat und Barak hin- und herpendelte, gehörten zu den am stärksten improvisierten, ungewissesten und dramatischsten Zeitspannen in meiner zehnjährigen Amtszeit. Während meines Aufenthalts vor Ort wurden über fünfzig Palästinenser getötet und zwei Israelis von einem Mob in Ramallah gelyncht. Die Stimmung war auf beiden Seiten aufgepeitscht. Auf beiden herrschte tiefes Misstrauen gegenüber den wahren Absichten der jeweils anderen Seite, und beide bedienten sich der Sprache des Krieges.
    Je länger ich vor Ort war und je öfter ich hin- und herpendelte, desto wichtiger wurde es, dass ich nicht ohne ein positives Ergebnis abreiste – das zu tun, wäre ein schreckliches Signal gewesen. Nachdem ich vergeblich versucht hatte, die Führer beider Seiten dazu zu bringen, öffentlich zur Ruhe aufzurufen und bestimmten deeskalierenden Maßnahmen zuzustimmen, bemühte ich mich gemeinsam mit dem ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak und Bill Clinton darum, beide Seiten zu einem neuen Gipfeltreffen in Scharm el-Scheich zu überreden. Die Amerikaner hatten sich schließlich doch mit den Ägyptern zusammengetan.
    Arafat wollte nicht an dem Gipfel teilnehmen, solange sein Volk israelischen Raketen- und Granatenangriffen ausgesetzt war. Er nahm nicht einmal mehr Clintons Telefonanrufe entgegen und ließ Mubarak auf eine Antwort auf seine Einladung warten. Würde er mir gegenüber positiv reagieren? Ich fuhr, ohne eine Verabredung zu haben, zu einem letzten Treffen mit dem Palästinenserführer nach Gaza. Als er mich schließlich empfing, schien er wieder in Beirut zu sein: »Barak will mich in die Ecke drängen und dazu zwingen, auf allen vieren zu kriechen. Weiß er nicht, wer Jassir Arafat ist?«
    Ich

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