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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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versuchte, sowohl seinen Stolz als auch sein Interesse anzusprechen, und weniger seinen Verstand als sein Herz zu erreichen: »Wahrscheinlich haben Sie recht. Barak will nicht, dass Sie in Scharm erscheinen. Er wäre froh, wenn Sie nicht kämen. Bereiten Sie ihm nicht dieses Vergnügen. Es würde bedeuten, dass er gewonnen hat. Lassen Sie die öffentliche Meinung der Welt darüber urteilen.« Da ich am Ende des Gesprächs immer noch keine förmliche Zusage von Arafat hatte, erhöhte ich den Druck, indem ich Reportern gegenüber erklärte, ich würde erwarten, ihn in Scharm zu sehen. Während ich mit meinem Team im Hubschrauber nach Jerusalem zurückflog, wurde ein Zettel herumgereicht, auf dem jeder eintragen sollte, für wie wahrscheinlich er es hielt, dass Arafat ja sagen würde. Alle anderen waren skeptisch, nur ich schrieb: »100 Prozent.« Ich war mir sicher, dass er bluffte und nach Scharm kommen würde. Auch in der Nacht hörten wir nichts von ihm, und am nächsten Morgen befand sich mein Team im Hotel King David in angespannter Stimmung. Ich fragte zuerst bei Sandy Berger nach, Clintons Sicherheitsberater, und dann bei Mubarak. »Hier hat niemand angerufen«, antwortete der ägyptische Präsident. »Ich hatte eine ruhige Nacht.« Schließlich hatte ich Arafat am Apparat.
    »Habe ich Ihre Zusage?«
    »Ja«, erwiderte er, »ich werde kommen.«
    Ich rief umgehend Mubarak an, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen. Daraufhin sagte er: »Sie und Solana werden teilnehmen.« (Der frühere NATO -Generalsekretär Javier Solana, mit dem ich in der Kosovokrise eng zusammengearbeitet hatte, war jetzt Hoher Vertreter der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.) So erhielt ich die Einladung nach Scharm el-Scheich, durch die unterstrichen wurde, dass der UNO eine maßgebliche Rolle in der Nahostdiplomatie zukam. Solana sprach von einem historischen Augenblick. »Es ist das erste Mal in der Geschichte dieses Teils der Welt«, erklärte er, »dass es einem Generalsekretär der Vereinten Nationen gestattet wird, eine Rolle zu spielen. Das Leben ist lang, und wir brauchen die UNO .«
    Ich tauschte die Dampfkesselatmosphäre von Gaza und Jerusalem gegen die klare Seeluft, den Sand und den Himmel an der Küste des Roten Meers ein. Aber die Zusammenkunft in Scharm el-Scheich war trotz des angenehmen Ortes nicht weniger angespannt. Es gab keinerlei Zuversicht, die Emotionen schlugen hoch, und die Verhandlungen verliefen turbulent. Zuzeiten schien die Kluft zwischen den Konfliktparteien unüberbrückbar zu sein. Clinton griff nach einem Nachtflug sofort in die Gespräche ein und arbeitete über 48 Stunden lang ununterbrochen. Ich hatte geholfen, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen, und bemühte mich mit Clinton zusammen darum, die Verhandlungen voranzubringen. Aber es war Clinton, der eine dreiteilige Vereinbarung über eine Sicherheitskooperation, die Wiederaufnahme des Friedensprozesses und die Bildung einer Untersuchungskommission über die Gewalttätigkeiten zustande brachte. Das Gewicht seiner Persönlichkeit und sein Verhandlungsgeschick gaben den Ausschlag.
    Barak war die Untersuchungskommission ein Dorn im Auge; er war allenfalls mit einer US -Kommission einverstanden. Arafat dagegen wollte eine Kommission unter der Schirmherrschaft der UNO , zum Teil, um dem exklusiven Part, den die Vereinigten Staaten im Friedensprozess innehatten, entgegenzuwirken. Beide Seiten stimmten schließlich dem Vorschlag zu, dass Präsident Clinton die Kommission in Absprache mit mir zusammenstellen sollte. Diese Einigung spiegelte recht genau die Machtverhältnisse wider: Die Vereinigten Staaten behielten die Führungsrolle, aber die Vereinten Nationen saßen jetzt mit am Tisch.
    In den folgenden Wochen einigten Madeleine Albright, Sandy Berger und ich uns auf die Kommissionsmitglieder. Den Vorsitz sollte Senator George Mitchell übernehmen, der später Barack Obamas Sonderbeauftragter für den Nahen Osten wurde. Mit dem im April 2001, in der Anfangszeit der Bush-Regierung, ausgearbeiteten Mitchell-Bericht wurde ein Konzept eingeführt, das zu Recht zu einer Säule aller weiteren Friedensbemühungen geworden ist: dass es nämlich, wenn Gewalt und Misstrauen überwunden werden sollen und der Friedensprozess wirkliche Fortschritte machen soll, notwendig ist, sowohl auf dem Gebiet der Sicherheit als auch auf dem Gebiet der Siedlungen zu handeln. Bei Ersterem sind die Palästinenser und bei Letzterem die Israelis gefragt. Die

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