Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
engagiertesten Mitarbeiter gefordert, die bei der UN gedient haben. Keiner von ihnen hatte den Krieg für richtig gehalten, aber sie alle hatten es für ihre persönliche und berufliche Pflicht gehalten, dem irakischen Volk zu helfen, das bereits von den Anfängen dessen erschüttert wurde, was sich zu einem zehnjährigen Bürgerkrieg auswachsen sollte. Und jetzt waren sie ermordet worden, durch einen Terroranschlag, der das Gefühl für das Risiko und die Verwundbarkeit unserer Missionen in aller Welt für immer veränderte. Zwar hatten schon zuvor Diplomaten, Friedenssoldaten und humanitäre Helfer der Vereinten Nationen bei der Ausübung ihrer Pflicht ihr Leben gelassen, aber in diesem Land, auf diese Weise und durch die Gegner einer Besetzung, die wir mit aller Kraft zu verhindern versucht hatten, zum Anschlagsziel zu werden, war eine besonders grausame Erfahrung.
Am Tag des Anschlags oblag es mir, die Welt an unseren größeren Auftrag im Irak zu erinnern. Ich durfte nicht zulassen, dass sich die Vereinten Nationen von Terroristen einschüchtern ließen, und gab deshalb eine Erklärung heraus, in der ich den Anschlag verurteilte. Ich unterstrich, dass meine Organisation ihre Aufgabe darin sehe, dem irakischen Volk dabei zu helfen, Krieg und Besetzung hinter sich zu lassen. Binnen weniger Wochen wurde deutlich, dass sich der Irak weithin in ein von unvorstellbarer Brutalität beherrschtes Kriegsgebiet verwandelte, in dem kein Platz war für Leute, die nicht am bewaffneten Kampf teilnahmen. Die Gefahren für unsere Mitarbeiter waren bald nicht mehr zu rechtfertigen, und so ordnete ich in der letzten Septemberwoche die Evakuierung aller im Irak verbliebenen UN -Vertreter an. Ein Nachruf auf Sergio und Nadia aus den Tagen nach ihrem Tod drückte unser Verlustgefühl und unsere Wut aus und verneigte sich vor ihrem unerschütterlichen Einsatz für die Mission der Vereinten Nationen, der denjenigen, die das Glück hatten, mit ihnen zusammenzuarbeiten, stets in Erinnerung bleiben wird:
»Sergio und Nadia lebten ein opferreiches, erfülltes Leben. Ihr Tod beschämt und verhöhnt die Schreibtischkrieger, die Talkshow-Schlammcatcher im Fernsehen, die Schaumschläger, Manipulatoren und Vereinfacher. Ihr Tod erinnert daran, dass Amtsgewalt, wie gutwillig sie auch sein mag, niemals altruistisch ist und unweigerlich bestimmte Reaktionen hervorruft. Aber ihr Leben erinnert auch daran, dass es möglich ist, in dieser – Verzeihung – geilen, blutgetränkten Welt Gutes zu tun.«
So der Journalist Steven Erlanger, ein Freund von Sergio und Nadia, am 24. August 2003 in der New York Times .
Der gewaltige Schaden, den die von den USA angeführte Invasion des Irak angerichtet hat, war selbstverständlich nicht auf den Tod von 22 UN -Mitarbeitern am 19. August 2003 beschränkt. Im Chaos und Bürgerkrieg in den zehn Jahren nach der Invasion kamen schätzungsweise 115 000 irakische Zivilisten ums Leben; über 10 000 Soldaten der Koalition wurden getötet oder verwundet; rund vier Millionen Menschen wurden zu Flüchtlingen oder zu Vertriebenen innerhalb des Irak; Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt verfielen; das Ansehen der Vereinten Nationen als Institution und Vorkämpfer globaler Sicherheit wurde schwer beschädigt; das nach dem Ende des Kommunismus so eifrig beschworene Versprechen des Multilateralismus verblasste; der Nahost-Friedensprozess wurde um ein Jahrzehnt oder mehr zurückgeworfen; die zentrale Aufgabe, ein stabiles Afghanistan zu schaffen, das nicht in der Lage wäre, Terror und Instabilität zu fördern, wurde sträflich vernachlässigt; die Differenzen zwischen Sunniten und Schiiten in der arabischen Welt verwandelten sich in ein tödliches Schisma; das grundlegende, noble Prinzip der humanitären Intervention wurde durch die Nähe zu Aggression und Besatzungsherrschaft in Misskredit gebracht; und last but not least wurde das globale Ansehen der Vereinigten Staaten, eines Gründungsmitglieds der Vereinten Nationen und einer langjährigen Stütze der Weltordnung, durch die Identifikation mit Misshandlungen, Tragödien und Chaos schlimmster Art, wie sie der Krieg mit sich bringt, in Mitleidenschaft gezogen.
Der Irak und die Vereinten Nationen
In den sechs Jahren seit Ende des ersten Golfkriegs im Jahr 1991 bis zu meiner Wahl zum UN -Generalsekretär wandelte sich der Irak von einem Beispiel für rechtmäßiges Handeln der Weltgemeinschaft, das die Durchsetzung der höchsten Ziele der UN -Gründer anstrebte, in einen
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