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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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operieren, in der noch kein richtiger Frieden herrschte, den es zu wahren galt. Deshalb empfahlen wir dem Sicherheitsrat die Entsendung einer multinationalen Truppe, die in den wichtigsten Städten eine internationale Präsenz aufrechterhalten sollte, welche die Sicherheit gewährleisten und den nötigen Freiraum für den Aufbau neuer Staats- und Sicherheitsstrukturen schaffen würde. Letzten Endes kam als Sicherheitsgarant nur eine gesamtafghanische Truppe in Frage.
    Über den Erfolg oder Misserfolg unserer Anstrengungen entschied aber nicht nur der innenpolitische Aufbau im Land, sondern ebenso die regionale Diplomatie. Die Haltung Teherans und Islamabads, der bisherigen Hauptunterstützer der Nordallianz respektive der Taliban, war ausschlaggebend für den Ausgang der innerafghanischen Verhandlungen. War es möglich, ihre Rivalität weit genug zu dämpfen und ihren Einfluss auf Gruppen in Afghanistan positiv zu nutzen? Wir behielten beide Aspekte im Auge. Ein weiterer Hauptakteur waren natürlich die Vereinigten Staaten, der bei weitem mächtigste Mitspieler, und ich arbeitete eng mit Colin Powell zusammen, ebenso wie Brahimi mit seinem amerikanischen Pendant, James Dobbins.
    Nach einer fieberhaften Runde bilateraler Konsultationen berief ich für den 12. November, während der Eröffnung der Generalversammlung, ein Treffen der »Sechs plus Zwei«-Gruppe ein. Die Leitung der Sitzung, an der die Außenminister der Mitgliedsländer teilnahmen, erforderte einiges Fingerspitzengefühl, aber hinterher konnten wir einen Konsens bekanntgeben, dem zufolge eine »breit aufgestellte, multiethnische, politisch ausgewogene, frei ausgewählte afghanische Verwaltung, die für die Hoffnungen [des afghanischen Volks] repräsentativ ist und ihren Nachbarn friedlich gegenübersteht«, geschaffen werden sollte. Kurz darauf unterstützte der Sicherheitsrat meinen Vorschlag, ein Treffen von Vertretern der verschiedenen afghanischen Gruppen einzuberufen, bei dem ein Plan für den politischen Übergang entworfen werden sollte.
    Ende November 2001 fand in Bonn eine Konferenz der Hauptbeteiligten statt, unter ihnen die Führer der Nordallianz – die sich zusammengeschlossen hatte, um gegen die Taliban zu kämpfen –, die Führer der Rom- und der Zypern-Gruppe sowie der Peschawar-Konferenz, die allesamt in früheren Verhandlungen gebildet worden waren. Brahimi hatte darauf bestanden, dass jeder Delegation mindestens eine Frau angehören musste, wenn sie an der Konferenz teilnehmen wollte. In der Nordallianz brachen die inneren Gegensätze auf, obwohl sie dabei war, auf dem Schlachtfeld die Oberhand über die Taliban zu gewinnen. Ihre Vertreter wollten nicht, dass die Petersberger Konferenz, wie sie genannt werden sollte, zu Ergebnissen führte. Ihnen war ein Schwebezustand lieber, der es ihnen ermöglichte, über die Machtanteile später zu entscheiden. Ebenso problematisch war, dass die größte Bevölkerungsgruppe, die Paschtunen, nur teilweise vertreten war – ein unvermeidlicher Mangel der Petersberger Konferenz. Besonders umstritten waren die Themen Sicherheit und Machtteilung; tatsächlich war die ethnische Zusammensetzung der afghanischen Bevölkerung äußerst komplex. Der Bonner Prozess besaß zwangsläufig viele Mängel, aber allein schon die Tatsache, die Afghanen nach Bonn gebracht zu haben, war ein Erfolg.
    In einer Botschaft an die vom deutschen Außenminister Joschka Fischer eröffnete Konferenz beschwor ich die Afghanen, die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, und auch danach versuchte ich durch ständige Telefongespräche mit Politikern, die Einfluss auf die Verhandlungsparteien besaßen, die Dinge voranzubringen. Der Konferenzort in Bonn war für Außenstehende gesperrt. Für die zwei Dutzend Länder, die Beobachter geschickt hatten, einschließlich der Vereinigten Staaten, war dies sicherlich enttäuschend, aber es ermöglichte unserem Team, bei der einen oder anderen Partei zu intervenieren, wann immer es nötig war, und zwar rund um die Uhr. In einer langen Nachtsitzung brachte Brahimi schließlich das sogenannte Petersberger Abkommen unter Dach und Fach.
    Diese Übereinkunft war indes kein endgültiges Friedensabkommen, und sie führte auch nicht zu einer dauerhaften afghanischen Regierung. Diese beiden Ziele waren unerreichbar und angesichts der hastigen Einberufung der Konferenz und der unvollkommenen Repräsentanz vielleicht auch nicht wünschenswert. Stattdessen hatten wir darauf geachtet, dass

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