Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
bereit, heute Nacht zu dem Waffenversteck zu gehen … Wir beabsichtigen, innerhalb der nächsten 36 Stunden in Aktion zu treten … Aufklärung des Waffenlagers und detaillierte Planung der Aushebung werden morgen Nachmittag erfolgen. Möglichkeit einer Falle nicht ganz ausgeschlossen … Peux-ce que veux. Allons-y! [Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Packen wir’s an!]
Im Januar 1994 mühte sich die DPKO damit ab, 17 friedenssichernde Einsätze in aller Welt mit 80 000 Soldaten aus über sechzig Truppen bereitstellenden Staaten zu koordinieren, und dies mit einem Mitarbeiterstab in New York, der kaum aufgestockt worden war. In dieser schwindelerregenden Situation, im Schatten Somalias, erhielten wir die zitierte dringliche und zutiefst verstörende Nachricht des Befehlshabers unserer friedenssichernden Truppen in Ruanda.
Drei Monate später wurden in Ruanda innerhalb von hundert Tagen schätzungsweise 800 000 Menschen getötet. Unsere Antwort auf General Dallaires Telegramm stand in krassem Gegensatz zum Tonfall seiner abschließenden französischen Worte: »Allons-y!« Wir warnten ihn vor dem offensiven Vorhaben, das Waffenlager auszuheben. Dies sei vom Sicherheitsrat nicht genehmigt und von seinem Mandat nicht gedeckt, erklärten wir. Stattdessen solle er die Information anderen einflussreichen Parteien vor Ort als Warnung zukommen lassen, einschließlich der drei Länder mit dem größten Einfluss in Ruanda. Er solle die diplomatischen Vertretungen Frankreichs, der Vereinigten Staaten und Belgiens aufsuchen und darüber hinaus an den Präsidenten von Ruanda herantreten. Wir hielten dies für das Beste, was wir tun konnten – und sogar für die einzige Option.
Angesichts der nachfolgenden Ereignisse stellt sich die Frage, wie wir zu dieser Einschätzung gelangen konnten. Die Antwort darauf legt den Kern dessen bloß, was damals bei der UN -Friedenssicherung schieflief.
Ruanda hatte seit langem unter einem ethnischen Machtkampf zwischen der Minderheit der Tutsi (die vor der Unabhängigkeit eine privilegierte Stellung in der Kolonialverwaltung eingenommen hatten) und der Mehrheit der Hutu gelitten. Die frühere Dominanz der Tutsi war Anfang der sechziger Jahre im Zuge einer gewalttätigen Auseinandersetzung in der Phase der Entkolonialisierung von der belgischen Herrschaft gebrochen worden. Seither hatten viele eine Wiederkehr der Hegemonie der Tutsi über die Hutu gefürchtet. Am 1. Oktober 1990 unternahm die von Tutsi dominierte Ruandische Patriotische Front ( RPF ) aus dem benachbarten Uganda einen Angriff auf die von Hutu geführte Regierung Ruandas. Für die Hutu-Regierung beschwor der Angriff die Gefahr der Wiedererrichtung der Dominanz der Tutsi in Ruanda herauf.
Die RPF erwies sich als ernstzunehmende Rebellengruppe. Es gelang ihr, sich im Norden Ruandas festzusetzen und ihre Position so weit auszubauen, dass sie in den folgenden Monaten und Jahren sogar mehrfach die Hauptstadt Kigali bedrohte. Die ruandische Regierung unter Präsident Juvenal Habyarimana hatte jedoch Frankreich auf ihrer Seite, und französische Fallschirmspringer sicherten zusammen mit Truppen aus Zaire und Belgien mehrmals Schlüsselstellungen in Kigali, um ruandische Truppen für die zunehmend ins Stocken geratene Kampagne gegen die RPF freizusetzen. Am 8. Februar 1993 begann die RPF eine ihrer größten Offensiven, in deren Verlauf sie sich Kigali bis auf 25 Kilometer näherte. Frankreich intervenierte, indem es sechshundert zusätzliche Fallschirmspringer entsandte, um die Verteidigung der Regierung in Kigali zu unterstützen. Das trug dazu bei, dass der Vormarsch der RPF aufgehalten werden konnte, und auf Druck Frankreichs, Belgiens und der Vereinigten Staaten trat die RPF in Verhandlungen über eine friedliche Lösung des Konflikts ein.
Das Ergebnis war ein Friedensschluss, das im August 1993 unterzeichnete Arusha-Abkommen. Es legte eine Aufteilung der Macht, eine beide Seiten repräsentierende Regierung und eine aus Regierungs- und RPF -Einheiten gebildete gemeinsame Armee fest. Außerdem enthielt das Abkommen eine Bestimmung, nach der eine neutrale internationale Truppe in Ruanda stationiert werden sollte, um die Einhaltung des Vertrags zu überwachen. Diese Bestimmung war vor allem auf Druck Frankreichs in das Abkommen aufgenommen worden. Frankreich wollte sicherstellen, dass sein Verbündeter, das Habyarimana-Regime, trotz der Vereinbarung der Machtteilung überlebte, und hatte deshalb seit Beginn der
Weitere Kostenlose Bücher