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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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militärischen Mängel der UN -Truppe, das Telegramm von Dallaire, in dem er uns die angespannte Lage vor Ort schilderte und die Aushebung des Waffenlagers ankündigte. Mein Stellvertreter Iqbal Riza, der das Telegramm erhalten hatte, sandte unsere Antwort gemäß der üblichen Kommunikationskette an den Sonderbeauftragten des Generalsekretärs in Ruanda, Jacques-Roger Booh-Booh. Darin stand, dass wir der geplanten Aktion nicht zustimmten und alle entsprechenden Planungen abzubrechen seien. Notwendig sei vor allem, »keinen Kurs einzuschlagen, der zur Gewaltanwendung und zu unvorhergesehenen Rückwirkungen führen kann«.
    Angesichts der damaligen prekären Situation der UN -Friedenssicherung bestand unsere größte Befürchtung darin, dass ein Einsatz erneut in einer militärischen Katastrophe mit einer großen Zahl von Todesopfern enden könnte. In dem von Dallaire angekündigten Vorgehen entdeckten wir alle Voraussetzungen für eine Katastrophe, wie sie drei Monate zuvor die Aktion zur Gefangennahme Aidids ereilt hatte – nur mit einer zigmal kleineren Truppe, die zudem von jeder Möglichkeit, Verstärkungen zu erhalten, abgeschnitten war. Aus Dallaires Plan konnte sich leicht ein Szenario entwickeln, das für die Friedenstruppe womöglich noch verheerender gewesen wäre als die Ereignisse in Somalia. In einem weit abgelegenen Land, eingekesselt von zwei Armeen mit Zehntausenden von potentiell feindseligen, gut bewaffneten Soldaten und ohne einen Notfallplan für Unterstützung durch zusätzliche, robuste Kampftruppen oder eine eigene Reserve würde die UNAMIR -Truppe durch ein Vorgehen, wie es Dallaire vorschlug, meiner Ansicht nach eine Konfrontation heraufbeschwören, mit der sie nicht fertigwerden konnte. Das Ergebnis wäre gewesen, dass sich nicht nur einige Dutzend Friedenssoldaten, wie in Somalia, sondern Hunderte, vielleicht sogar die gesamte Truppe von 2165 Mann in Lebensgefahr befunden hätten.
    Darüber hinaus drängte es in dem Klima, das nach Somalia in der Weltgemeinschaft herrschte, niemanden – und ganz gewiss nicht die Vereinigten Staaten – danach, auch nur das kleinste Risiko einzugehen und das Leben von Friedenssoldaten aufs Spiel zu setzen. Schon ein kleines Scharmützel mit geringen Verlusten hätte den Sicherheitsrat veranlasst, den Rückzug anzuordnen, und das Ende einer weiteren Friedensmission bedeutet, wenn nicht sogar des gesamten Friedensprozesses.
    Mit den Informationen, die wir hatten, war es unmöglich, die Aushebung des Waffenlagers zuzulassen. Später, im April, wurden zehn belgische Soldaten gefangen genommen, wie von Dallaires Informant vorausgesagt. Der General saß zu jenem Zeitpunkt im Auto und befand sich auf dem Weg zu einem Treffen mit Vertretern der Regierungstruppen. Als er an der Kigali-Garnison vorbeikam, sah er zwei der belgischen Friedenssoldaten, die dort offenbar gefangen gehalten wurden. Erst kurz darauf erfuhr er von ihrer Entführung und davon, dass sie misshandelt wurden. Ihm war, wie er sich später erinnerte, sofort klar, dass er nichts tun konnte, um sie zu retten, außer in Verhandlungen einzutreten. »Bereits in diesem Moment sagte ich mir: ›Ich kann die Jungs dort nicht herausbekommen. Ich habe einfach nicht die Mittel dafür‹«, erklärte er im Rückblick. Aufgrund des Risikos für seine anderen Soldaten hielt er einen militärischen Befreiungsversuch für unverantwortlich.
    Diese übergeordnete Überlegung hatte auch unsere Reaktion auf seine Anfrage vom 11. Januar bestimmt. Überdies warnte sein Telegramm vor einer möglichen Falle. Aber diese Möglichkeit hätten wir auch ohne seine Warnung ins Kalkül gezogen. Es gab immer Gruppen, die ein Interesse daran hatten, Friedenstruppen zu manipulieren. Die Verbreitung falscher Informationen war bei Missionen in Konfliktgebieten durchaus an der Tagesordnung. Der Arusha-Friedensprozess stellte einen heiklen Ausgleich dar, und die von Dallaire übermittelten Informationen kamen wie aus heiterem Himmel von einer einzigen Quelle. Es war durchaus denkbar, dass sie von Elementen auf beiden Seiten des Konflikts genau deshalb in Umlauf gesetzt worden waren, um eine offensive Reaktion wie die von Dallaire angekündigte zu provozieren und damit den Krieg von neuem zu entfachen.
    Im Übrigen hätte der Plan, das Waffenlager auszuheben, wenn wir ihm zugestimmt hätten, dem Generalsekretär und dem Sicherheitsrat zur Billigung vorgelegt werden müssen. Sämtliche Mitteilungen von Truppenkommandeuren wurden

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