Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
begangen wurden. Am 29. April veröffentlichte das Büro des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen ( UN HCR) Zahlen, nach denen mehr als 250 000 Ruander allein ins benachbarte Tansania geflohen waren. Es war der größte Massenexodus, den eine UN -Organisation jemals registriert hatte. Gleichzeitig schätzte die UNO , dass 200 000 Menschen in Ruanda getötet worden waren. Anfang Mai bezeichneten wir von der UNO die Tötungen in Ruanda offiziell als Völkermord. Iqbal Riza war nach Ruanda entsandt worden, um die Lage zu erkunden. Der Druck von verschiedenen Seiten veranlasste den Sicherheitsrat schließlich, am 6. Mai seine Beratungen über Ruanda wiederaufzunehmen. Der Generalsekretär legte dem Rat mit Unterstützung der DPKO Optionen für eine Reaktion vor, zu denen verschiedene Interventionsvarianten mit einem unterschiedlichen Maß an militärischer Gewalt gehörten. Am 17. Mai verabschiedete der Sicherheitsrat die Resolution 918, die eine erneute Einsetzung von UNAMIR – unter dem Namen UNAMIR II – mit einer Truppenstärke von 5500 Mann vorsah.
Allerdings war nicht ein einziges Ratsmitglied bereit, Truppen beizusteuern. In der DPKO verbrachten wir endlose Tage damit, mehr als hundert Regierungen rund um die Welt um Truppen zu bitten. Ich selbst führte Dutzende Telefongespräche, aber die Antwort war stets dieselbe. Wir erhielten nicht ein einziges Angebot. Es war eine der erschütterndsten Erfahrungen meines gesamten Berufslebens, die mich tief prägte. Sie enthüllte nur zu deutlich den Widerspruch zwischen öffentlich bekundeter Beunruhigung oder Sorge um die leidenden Menschen einerseits und der fehlenden Bereitschaft, die für aktives Eingreifen nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen, andererseits. Das Ausmaß des Mordens in Ruanda war allgemein bekannt, und dennoch konnten wir in den Regierungen der Welt niemanden finden, der etwas dagegen unternehmen wollte.
Der Völkermord endete erst mit dem Sieg der RPF über die Regierung – nachdem in nur hundert Tagen die unfassbare Zahl von 800 000 Tutsi und gemäßigten Hutu getötet worden war. Im Juli schloss die RPF den Feldzug, mit dem sie die genozidalen Regierungstruppen aus Ruanda vertrieb, ab und bildete eine neue Regierung unter ihrer Führung. Erst danach, im August, als der Völkermord und der Bürgerkrieg vorüber waren, wurden endlich Truppen für UNAMIR II zur Verfügung gestellt.
Die Lehre aus dem Sieg der RPF lautete, dass für die Beendigung des Völkermords und für den Schutz von Zivilisten militärische Mittel erforderlich gewesen wären; deren Einsatz hätte politisch gewollt sein müssen, um dem Töten ein Ende zu setzen. Aber 1994 gab es im internationalen System einfach keine Kultur und keine Präzedenzfälle von UN -Interventionen in einem inneren Konflikt unter Einsatz militärischer Gewalt zum Schutz von Zivilisten. Zusammen mit der Reaktion auf die Ereignisse in Mogadischu führte dies zu völliger Untätigkeit. Es bedurfte eines weiteren Krieges und des Todes Tausender weiterer Zivilisten – diesmal in Europa –, damit die Welt lernte, Partei zu ergreifen.
Bosnien: im Angesicht des Scheiterns
»Eine irrwitzige Kluft zwischen den Resolutionen des Sicherheitsrats, dem Willen, diese Resolutionen auszuführen, und den Mitteln, die den Befehlshabern vor Ort zur Verfügung stehen«, so lauteten die bissigen Worte des belgischen Generals Francis Briquemont über die UN -Mission in Bosnien am Ende seiner Zeit als Befehlshaber der dortigen Friedenstruppe. Diese Kluft sollte sich wieder einmal mit toten Zivilisten füllen, und zwar in einem Ausmaß, wie man es in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gekannt hatte.
Die Vereinten Nationen waren – und werden es vielleicht immer sein – ein leichtes Ziel, wenn es um die Analyse des Scheiterns von friedenssichernden Einsätzen geht. Die Grenzen unserer Ressourcen, die extreme Abneigung der Truppen bereitstellenden Länder, Risiken für ihre Soldaten in Kauf zu nehmen, und vor allem die oftmals unüberbrückbare Spaltung des Sicherheitsrats wurden nur zu gern vergessen, wenn es darum ging, die Schuld an dem, was damals allgemein als »Krise der UN -Friedenssicherung« bezeichnet wurde, zuzuweisen. Nirgends trat dies deutlicher zutage als in den Fällen von Ruanda und Bosnien, wo die UNO zwischen 1992 und 1995 gebeten wurde, inmitten fortdauernder brutaler Kriege einen Frieden zu sichern, den es nicht gab.
Ich hatte meinen Posten als Marrack Gouldings
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