Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
automatisch kopiert und an über ein Dutzend Leute in der DPKO und im Generalsekretariat verteilt. Aufgrund seines Inhalts sorgte Dallaires Telegramm selbstverständlich in beiden Dienststellen für Aufregung, aber über die Antwort war man sich einig. Der Grund dafür war allen klar: Im Sicherheitsrat bestand nicht die geringste Neigung, auch nur in Erwägung zu ziehen, dass bei einer friedenssichernden Mission Gewalt angewendet werden könnte. Das war uns in den Wochen und Monaten zuvor immer wieder vor Augen geführt worden.
Im Sicherheitsrat herrschte eine düstere Atmosphäre, und Initiativen des Sekretariats, dem die Vereinigten Staaten öffentlich die Schuld am jüngsten Fehlschlag in Somalia gaben, nahm er bestenfalls skeptisch auf. Empfehlungen, die der Haltung des Sicherheitsrats widersprachen, wurden mit einer Mischung aus Hohn und Verärgerung aufgenommen. Einmal, zum Beispiel, begleitete mich Maurice Baril, der leitende Militärberater der DPKO , bei einer der seltenen Gelegenheiten, bei denen jemand anders als Gharekhan mit dem Sicherheitsrat zusammentraf, um dem Rat eine militärische Analyse des Plans, in Bosnien »sichere Gebiete« einzurichten, vorzutragen. Unter den aktuellen Umständen, erklärte Baril, sei ein solches Vorhaben mit ernsten Mängeln behaftet. Er habe sich gefühlt, sagte er mir hinterher, als würden US -Botschafterin Albright und der britische Botschafter David Hannay ihm »bei lebendigem Leib die Haut abziehen«, weil er anzudeuten gewagt hatte, er wisse besser als die Ratsmitglieder, welche Bedingungen für eine erfolgreiche friedenssichernde Mission gegeben sein müssten. Die Haltung ihm gegenüber ließe sich in der Frage »Was glauben Sie, wer Sie sind, herzukommen und uns zu belehren?« zusammenfassen. Und prompt wurde Baril verbal abgestraft.
Unter diesen Zwängen stehend, verfassten wir unsere Antwort an Dallaire. Gleichwohl nahmen wir seine Warnung ernst. In unserem Telegramm wiesen wir ihn an, einen alternativen, diplomatischen Weg einzuschlagen, der am besten geeignet schien, allen Plänen für ein Massaker in Kigali zuvorzukommen. Um zusätzlichen Druck auf Habyarimana auszuüben, rieten wir Dallaire außerdem:
»Unter der Voraussetzung, dass Sie von der Zuverlässigkeit der von dem Informanten gelieferten Informationen überzeugt sind …, sollten Sie dem Präsidenten klarmachen, dass Sie, wenn es in Kigali zu Gewalttätigkeiten kommen sollte, dem Sicherheitsrat umgehend die Informationen über die Aktionen der Miliz zur Kenntnis bringen und Untersuchungen anstellen müssten, um herauszufinden, wer verantwortlich ist, und dem Sicherheitsrat entsprechende Empfehlungen geben zu können.«
Unsere Taktik bestand darin, dem Präsidenten den Eindruck zu vermitteln, dass mächtige Kräfte in der Welt ein Auge auf ihn hatten – von den militärisch in Ruanda engagierten Ländern bis zu den Vereinten Nationen selbst –, so dass er mit ernsten Folgen rechnen musste, wenn er sich an Gewalttätigkeiten beteiligen sollte.
Einen Tag, nachdem wir das Telegramm abgeschickt hatten, am 12. Januar 1994, trafen der UN -Sonderbeauftragte Booh-Booh und General Dallaire, wie von uns instruiert, mit den Botschaftern der drei Länder, die die stärksten Truppenkontingente für UNAMIR stellten, zusammen. Die Botschafter erklärten daraufhin, sie würden ihre Regierung informieren und die Strategie koordinieren. Später wurde behauptet, die Mitglieder des Sicherheitsrats hätten von der durch Dallaires Informanten übermittelten Warnung nichts gewusst. Angesichts der Tatsache, dass die ständigen Sicherheitsratsmitglieder, allen voran die Vereinigten Staaten und Frankreich, in Ruanda ein wesentlich moderneres und besser eingeführtes Informationsnetz als UNAMIR besaßen, kann dies nicht wahr sein.
Am 6. April 1994 wurde ein Flugzeug, mit dem der ruandische Präsident Habyarimana und der burundische Präsident Cyprien Ntaryamira von Verhandlungen in Tansania zurückkehrten, beim Anflug auf den Flughafen von Kigali abgeschossen. Sämtliche Passagiere fanden den Tod. Unmittelbar danach brachen in Kigali von der Hutu-Regierung initiierte Gewalttätigkeiten aus. Einen Tag nach dem Abschuss des Flugzeugs wurden zehn zu UNAMIR gehörende belgische Fallschirmspringer, die die ruandische Ministerpräsidentin schützen sollten, von Regierungstruppen gefangen genommen. Als sie über Funk von ihrem Kommandeur, Oberst Luc Marchal, Instruktionen verlangten, wurde ihnen gesagt, sie sollten die Waffen
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