Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
niederlegen und sich nicht auf einen Kampf einlassen. Daraufhin wurde die Ministerpräsidentin ermordet, und wenig später wurden auch die belgischen Fallschirmspringer getötet und ihre Leichen verstümmelt.
Unsere Befürchtungen vom Januar bestätigten sich – die Truppen bereitstellenden Länder standen angesichts der zusammenbrechenden Mission offenbar kurz davor, ihre Einheiten abzuziehen, und in Kigali kam es zu Massakern. In den folgenden Tagen trafen Nachrichten über eine Entwicklung ein, vor der General Dallaire nicht gewarnt hatte: Die Gewalttätigkeiten und Massaker erfassten offenbar auch Gebiete außerhalb der Hauptstadt. Regierungstruppen, Milizen und zivile Banden unter dem Befehl lokaler Kommandeure und Staatsbeamter ermordeten in aller Öffentlichkeit Zivilisten, zumeist mit landwirtschaftlichen Geräten und in einem Ausmaß und mit einer Intensität, wie man sie bisher nicht gekannt hatte.
Ein hoher ruandischer Beamter sagte später zu dem Plan, die belgischen Friedenssoldaten zu töten: »Wissen Sie, auch wir sehen CNN .« Er bezog sich damit auf die Lehre, die man in Ruanda aus den Ereignissen in Somalia im Jahr zuvor gezogen hatte: dass der Tod einiger weniger ausländischer Friedenssoldaten genügte, um den Willen zur Intervention zu brechen, so dass man ungehindert in seinem mörderischen Tun fortfahren konnte. Und der Beamte hatte recht. Fünf Tage nach der grausamen Ermordung ihrer Soldaten gab die belgische Regierung den sofortigen Rückzug ihrer Truppen aus Ruanda bekannt. Diese Truppen waren der Kern der UNAMIR -Kampfkraft gewesen.
In seinen ersten Anweisungen nach dem Ausbruch der Gewalt in Ruanda forderte der Sicherheitsrat am 8. April UNAMIR auf, alles zu tun, um eine Übereinkunft in die Wege zu leiten, die die Waffenruhe wiederherstellte. Vor Ort war die UNAMIR -Truppe indes in keiner Weise dafür ausgerüstet, um nachhaltig intervenieren zu können, ohne das Leben all ihrer Soldaten aufs Spiel zu setzen. Am 15. April sagte Dallaire zu einem Reporter der New York Times : »Wir sitzen jetzt acht oder neun Tage in unseren Schützengräben. Die Frage ist, wie lange man dort sitzen und versuchen soll, die Sache beizulegen. Unsere Mission besteht nicht in der Friedenserzwingung … Wenn wir kein Licht am Ende des Tunnels sehen, wenn wir weitere drei Wochen mit gefesselten Händen zusehen müssen, wie sie sich gegenseitig die Köpfe einschlagen, dann müssen wir ernsthaft das Risiko überdenken, diese Soldaten hierzubehalten.« Dallaire übernahm die Verantwortung für den Schutz seiner Soldaten und erfüllte seine Pflicht ihnen gegenüber. Als jedoch der Zeitpunkt kam, abzuziehen und Ruanda zu verlassen, beschloss er zu bleiben. Er blieb, unter großen Gefahren, noch drei Monate, zusammen mit einem winzigen Kontingent ghanaischer und tunesischer Friedenssoldaten, um so viele ruandische Zivilisten wie möglich zu retten.
In New York lasen wir mit täglich wachsendem Schrecken und Unglauben die hereinkommenden Berichte und Meldungen. Am 21. April war klar, dass die Gewalttätigkeiten überall im Land systematisch und mit zunehmender Intensität verübt wurden. An jenem Tag beschloss der Sicherheitsrat, die UNAMIR -Truppe auf 270 Mann zu verkleinern. Man wollte nicht in die Vorgänge hineingezogen werden. Bob Dole, der Sprecher der Republikaner im US -Senat, hatte einige Tage vor der Entscheidung des Sicherheitsrats erklärt: »Ich glaube nicht, dass wir irgendein nationales Interesse dort haben. Ich hoffe, wir werden nicht hineingezogen … Die Amerikaner [die US -Bürger in Ruanda] sind raus. Soweit es mich betrifft, sollte dies das Ende in Ruanda sein.« Zu den Optionen, die Boutros-Ghali dem Sicherheitsrat an jenem Tag vorlegte, gehörten auch die Umwandlung der Truppe und eine großangelegte militärische Intervention. Das wurde ohne viel Federlesens abgelehnt. Der Sicherheitsrat übernahm keine Verantwortung für die Situation in Ruanda und die wachsende Zahl von Todesopfern, und seine wichtigsten Mitglieder bestritten rundweg, dass in Ruanda ein Völkermord stattfand. Ein CIA -Bericht vom 23. April 1994, zwei Tage nach der Rückzugsentscheidung des Sicherheitsrats, zeigt jedoch, dass der Konflikt zumindest zu diesem Zeitpunkt von Vertretern der US -Administration als »Genozid« betrachtet und als solcher auch bezeichnet wurde.
Der Sicherheitsrat wandte sich ab, aber die Medienberichte hörten nicht auf und belegten immer eindringlicher, welch unvorstellbare Gräuel in Ruanda
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