Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
gelingen, die wichtigsten Schritte im Nord-Süd-Friedensprozess schnell hinter uns zu bringen, um dann unser ganzes diplomatisches Augenmerk auf Darfur zu richten.
Binnen zwei Monaten machten die Ereignisse in Darfur diese Linie zunichte. Angesichts der Vielzahl von Beweisen für grobe Menschenrechtsverletzungen, die wir erhielten, war klar, dass der Nord-Süd-Friedensprozess ohne ernsthafte Einbeziehung der Darfur-Frage nicht fortgeführt werden konnte. Die Ereignisse in Darfur waren für alle potentiellen Partner mit einem Friedensschluss unvereinbar. Ich begann die verschiedenen Unterhändler und Vermittler, einschließlich Außenministern und Staats- und Regierungschefs, darauf hinzuweisen, dass der Konflikt im Süden nicht unabhängig von der Darfur-Frage betrachtet werden könne. Aber wie der Mangel an Entschlossenheit, sofort etwas zu unternehmen, zeigte, folgte der Sicherheitsrat einer anderen Logik als derjenigen, die von der Sorge um den Nord-Süd-Friedensprozess diktiert wurde.
Wie üblich war der Sicherheitsrat geteilter Meinung. Insbesondere Pakistan, das Anfang 2004 den Vorsitz innehatte, wies die Forderung, die Darfur-Frage auf die Tagesordnung des Rats zu setzen, zurück. Immerhin konnte daraus eine Kampagne für eine Intervention entstehen, und Pakistan war grundsätzlich gegen jedes Eingreifen, das es als Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten betrachtete. Dies galt umso mehr, wenn es sich um andere Entwicklungsländer handelte, zumal moslemisch geprägte. China war ein weiteres Hindernis. Zum einen war seine Einstellung zu humanitären Interventionen ähnlich ablehnend wie diejenige Pakistans, und zum anderen hatte es sich durch Verträge über Erdöllieferungen aus dem Sudan für die wachsende chinesische Wirtschaft an das Regime in Karthum gebunden. China schien während der gesamten Zeit auf dem Sprung zu sein, um jeden Versuch, die kraftvolleren Optionen der UN -Charta gegen Khartum anzuwenden, zu vereiteln.
Theoretisch gab es indes Spielraum für Verhandlungen und für die Revision der chinesischen und pakistanischen Haltung wie auch derjenigen anderer skeptischer Ratsmitglieder. Man hätte stärker gezielten Druck ausüben und Neuerungen in diplomatischen Verhandlungen ausprobieren können. Einige Monate zuvor war zum Beispiel Syrien trotz seines Widerstrebens dazu bewegt worden, im Sicherheitsrat einer harten Resolution über den Irak zuzustimmen. Noch kurz vor der Abstimmung glaubten viele, der syrische Vertreter würde die Resolution ablehnen. Doch am Ende stimmte Syrien, nachdem von vielen Seiten Druck ausgeübt worden war, dafür. Und im Kosovo hatte die NATO , da im Sicherheitsrat ein russisches Veto gegen eine robuste humanitäre Intervention drohte, selbstbewusst ohne UN -Mandat gehandelt. Wenn es einen weiteren Anlass für eine solche Umgehung internationaler Organisationen angesichts enormen menschlichen Leids gab, dann in Darfur.
Aber niemand unternahm ernsthaft den Versuch, dem Volk von Darfur zu helfen. Die Provinz von der Größe Frankreichs gehörte zu einem arabisch beherrschten Land, dessen Regierung bei einer Intervention westlicher Truppen umgehend darauf hingewiesen hätte, dass es nach Afghanistan und dem Irak das dritte moslemische Land sei, in das man einmarschiert sei, zudem eines mit reichen Erdöl- und Erdgasvorkommen. »Wenn sie den Dschihad wollen, sollen sie nur kommen«, soll al-Baschir in privatem Kreis gesagt haben. Darüber hinaus war die Lage überaus kompliziert. Anders als in Ruanda, wo es eine zentral gesteuerte zielgerichtete Kampagne zur Vernichtung einer klar definierten Bevölkerungsgruppe gegeben hatte, waren die Trennlinien undeutlich, fragmentiert und veränderlich, und wer wann welche Gruppe kontrollierte, war ebenso unklar. In mancher Hinsicht ähnelte der Krieg in Darfur, was den Grad der Desorganisation und Verwirrung betraf, eher Somalia und dem Kongo als Ruanda. All das stärkte bei den Mitgliedern des Sicherheitsrats die Neigung, nichts zu tun.
In dieser Phase des Zauderns reisten wir am 1. Juli 2004 zu einem offiziellen Besuch in den Sudan. Das Programm umfasste auch Besuche in mehreren Flüchtlingslagern in Darfur und im benachbarten Tschad. Die Darfurer befanden sich in einem mitleiderregenden Zustand, was mit eigenen Augen festzustellen uns jedoch schwerfiel, da die sudanesische Regierung eines der Lager buchstäblich über Nacht an einen anderen Ort verlegt hatte, so dass es, als wir eintrafen, nichts mehr zu
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