Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
oder Pferde reitenden Janjaweed, bewaffnete Hirten aus den arabischen Baggara-Stämmen, die von der sudanesischen Regierung mit Waffen ausgerüstet wurden und die Erlaubnis hatten, nichtarabische Dörfer in Darfur zu überfallen. Hatten solche Überfälle bisher nur sporadisch stattgefunden, so waren die nichtarabischen Gemeinden jetzt einem ungezügelten, systematischen Angriff auf ihr Leben und ihre Lebensgrundlagen ausgesetzt. Dieser Methode lag eine ebenso einfache wie brutale strategische Logik zugrunde: Wenn man die Bevölkerung aus ihren Zufluchtsorten verjagte, vertrieb man auch die Rebellen.
Da die Janjaweed sudanesische Geheimdienstinformationen erhielten und mit militärischen Mitteln unterstützt wurden – in Form von Hubschraubern und Flugzeugen, die mit Raketen, Bomben und schweren Maschinengewehren bewaffnet waren –, konnte sich die Bevölkerung von Darfur kaum vor dieser hybriden, halb modernen, halb mittelalterlichen Welle von Plünderungen und Massenvergewaltigungen schützen. Mit einer Truppe wie den Janjaweed war ein gezieltes Vorgehen ausgeschlossen. Die sudanesische Regierung hatte absichtlich eine Entwicklung entfesselt und unterstützt, die ungehindert in einen Angriff auf die gesamte Bevölkerung mündete. Zivilisten, die von Janjaweed angegriffen wurden, standen vor der Wahl, entweder vergewaltigt, verstümmelt und ermordet zu werden oder, was dem kaum vorzuziehen war, in die Wüste zu fliehen.
In der Frühphase der Krise, am 29. März 2004, rief ich, da mir das Wissen um die Entwicklung in Darfur zu schaffen machte, neben einigen anderen Staats- und Regierungschefs und sonstigen Beteiligten an dem Konflikt auch den Präsidenten des Sudan, Omar al-Baschir, an. Ich befand mich in Bürgenstock in der Schweiz, wo ich an Verhandlungen über den Friedensprozess auf Zypern beteiligt war, den wir zum Abschluss zu bringen versuchten. Mit mehreren Krisen gleichzeitig umzugehen war mittlerweile unser tägliches Brot, und ich hatte schon seit einiger Zeit versucht, al-Baschir zu erreichen. Also klinkte ich mich aus den Verhandlungen aus, als sich endlich die Gelegenheit zu einem Gespräch ergab.
»Ich rufe wegen der Lage in Darfur an, die ich als ernst ansehe«, sagte ich und hielt inne, um dem Dolmetscher Zeit für die Übersetzung zu geben. »Die Lage ist in der Tat sehr schlecht«, fuhr ich fort. »Ich habe mehrere glaubwürdige Berichte erhalten, denen zufolge Janjaweed-Kämpfer fortfahren, zu vergewaltigen, zu morden und die Menschen von ihrem Land zu vertreiben. Im Land selbst gibt es schätzungsweise 700 000 Vertriebene; dazu kommt eine große Zahl von Flüchtlingen im Tschad. Die Menschen müssen vor den Janjaweed geschützt werden. Die Situation ist dringlich und, wie ich betonen muss, unannehmbar.«
Ich sah keinen Grund, den Zweck meines Anrufs zu verbrämen oder meinen Ton zu mäßigen, war mir aber nur zu sehr bewusst, dass meine Bemerkungen ein schwacher Ersatz für die Gewaltandrohung waren, die – ob implizit oder explizit – gewiss erforderlich sein würde, um auch nur darauf hoffen zu können, dass Khartum auf unsere Forderungen einging. Da aber nichts darauf hindeutete, dass der Sicherheitsrat bereit war, seine Verantwortung gegenüber dem Leid des Volks von Darfur wahrzunehmen, und kein UN -Mitgliedsstaat die Entschlossenheit an den Tag legte, die nötig gewesen wäre, um ernsthaft und glaubwürdig mit einer Intervention zu drohen, war dies der einzige Kurs, den ich einschlagen konnte. Trotzdem war ich über al-Baschirs Erwiderung überrascht. Aalglatt dankte er mir sogar für meine Besorgnis, wischte sie aber mit der Behauptung vom Tisch, die Lage werde in den Medien maßlos übertrieben dargestellt. »Die Situation in Darfur ist ruhig«, versicherte er. Soweit er wisse, würden die einzigen Probleme in der Provinz von den Rebellen hervorgerufen, nicht von den Janjaweed (die von der Regierung unterstützt wurden).
Meiner Frage nach der Durchführbarkeit eines Waffenstillstands wich er aus. Er werde weder mir noch sonst irgendjemandem das Versprechen geben, die Anstrengungen seiner Regierung hinsichtlich der Bekämpfung der Aufstände zu verringern. Ohne eine Resolution des Sicherheitsrats, das wusste er genauso gut wie ich, konnte ich nichts tun, um seine Regierung zu einer Kursänderung zu bewegen.
Aber wenigstens in der Frage der humanitären Hilfe und der humanitären Helfer konnte ich den Druck auf al-Baschir aufrechterhalten. In dem Telefongespräch betonte er
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