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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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-Statut festgelegt, dass internationale Institutionen nur hinzugezogen werden sollen, wenn die nationalen Einrichtungen scheitern. Interessanter ist jedoch die Frage, ob internationales Eingreifen tatsächlich die Hoffnung auf Frieden untergräbt. Dieses Argument hört man manchmal im Zusammenhang mit Friedensverhandlungen, denn welchen Anreiz hätte ein Führer, der eine Anklage zu gewärtigen hat, auf eine Übereinkunft einzugehen, durch die er seine privilegierte Stellung verliert?
    Nach meiner Ansicht ist die Androhung einer Anklage eine wirkungsvolle Abschreckung, die von verwerflichem Verhalten abhält oder einen Anstoß gibt, solches Verhalten zu ändern. Wird eine Anklage jedoch zu früh erhoben, kann sie diese Hebelwirkung verlieren. Diese Sorge hatten wir in Bezug auf den sudanesischen Präsidenten al-Baschir, und in Bosnien wäre niemals ein Abkommen zustande gekommen, wenn Miloševi ć vor den Verhandlungen in Dayton unter Anklage gestellt worden wäre. Eine mögliche Anklage zurückzuhalten, ist indes nicht dasselbe wie die Gewährung von Straffreiheit.
    Aus dieser Annahme – dass eine ausbleibende Anklageerhebung gleichbedeutend ist mit der Bereitschaft, eine Amnestie zu gewähren – entstehen viele Missverständnisse in solchen Situationen. 1999 in Sierra Leone war es die Revolutionäre Einheitsfront unter Foday Sankoh, die eine Amnestie forderte. Diese Gruppe war dafür berüchtigt, dass sie Kindersoldaten einsetzte, brutale Massenvergewaltigungen beging und Zehntausende von Amputationen vornahm. Dass sich die Vereinten Nationen zur Gewährung einer Amnestie hergeben könnten, war unvorstellbar.
    Die Friedensverhandlungen waren ohne meine Beteiligung weit vorangekommen, und ich wollte die Fortschritte nicht vollständig zunichtemachen. Aber die Gewährung von Straffreiheit wäre eine Grenzüberschreitung gewesen. Deshalb unternahm ich einen ungewöhnlichen Schritt und wies meinen Sonderbeauftragten für Sierra Leone, Francis Okelo, an, handschriftlich in den Vertrag hineinzuschreiben, dass für die UNO bei Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Amnestie nicht in Frage komme. Der Vorfall bewirkte, dass ich eine klarere Haltung zu dem Thema gewann, und ich gab später allen meinen Beauftragten und Abgesandten, die an Friedensverhandlungen beteiligt waren, diese Anweisung, um ein ähnliches Missverständnis in Zukunft zu vermeiden.
    Wie sich herausstellte, brach Sankoh diese und andere Vereinbarungen, und eine Intervention britischer und nigerianischer Truppen beendete im Jahr darauf den Konflikt. Sankoh wurden später vor dem Sondergericht für Sierra Leone in 17 Punkten Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt, doch er erlitt einen Schlaganfall und starb, bevor er verurteilt werden konnte. Wie der Ankläger bitter bemerkte, kam Sankoh in den Genuss des friedlichen Endes, das er so vielen Menschen genommen hatte.
    Als ich 2001 bei der Verleihung des Friedensnobelpreises meine Dankesrede hielt, suchte ich eine Möglichkeit, all unsere großen Ziele für die Vereinten Nationen mit etwas Konkreterem zu verbinden, und so sprach ich über ein Mädchen, das an diesem Tag in Afghanistan geboren wurde. Seine Mutter würde es halten und füttern, herzen und umsorgen, so wie jede Mutter überall in der Welt. Bei solchen elementaren Handlungen ist die Menschlichkeit ungeteilt. Doch ein Mädchen, das im Jahr 2001 in Afghanistan geboren wurde, hatte ein Leben vor sich, das Jahrhunderte von dem Wohlstand entfernt war, den ein Teil der Menschheit erreicht hatte, und es würde unter Bedingungen leben, die viele als unmenschlich betrachten. Die wirklichen Grenzen verlaufen heute nicht zwischen Nationen, sondern zwischen Mächtigen und Machtlosen, Freien und Gefesselten, Privilegierten und Gedemütigten. Die Vereinten Nationen und ihr Generalsekretär können nicht all diese Ungerechtigkeiten beseitigen, aber es ist seine oder ihre Pflicht, sich an alle Völker der Welt zu wenden und für sie zu sprechen, wenn größere Mächte sie ignorieren.
    Einer meiner Vorgänger, Dag Hammarskjöld, sagte 1954, die Vereinten Nationen seien nicht geschaffen worden, um die Menschheit in den Himmel zu bringen, sondern um sie vor der Hölle zu schützen. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Welt durch den Kalten Krieg gespalten und ständig von einer nuklearen Konfrontation bedroht war, war die von ihm formulierte Zielstellung moderat, aber immer noch

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