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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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ehrgeizig genug. Heute muss die UNO mehr tun, als die nachfolgenden Generationen von der Geißel des Krieges zu befreien. Dieses Ziel nimmt nur die erste Zeile ihrer Charta ein. In den nächsten Zeilen wird die Notwendigkeit hervorgehoben, die grundlegenden Menschenrechte, die Würde des Menschen und den Wert des menschlichen Lebens zu achten. Darüber hinaus enthält sie das Versprechen, »den sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit zu fördern«. Die Worte »in größerer Freiheit« wählte ich als Titel für meinen wichtigsten Bericht über die Reform der UNO , den Robert Orr und Stephen Stedman auf kundige Weise betreut haben. Die Vereinten Nationen, so führte ich darin aus, müssten beim Frieden und bei der Sicherheit weiterhin eine Rolle spielen, sich daneben aber auch für Menschenrechte und Entwicklung engagieren.
    Obwohl die UNO in vielerlei Hinsicht ein Staatenklub bleibt, muss der einzelne Mensch bei allem, was die UNO unternimmt, im Mittelpunkt stehen. Das entspricht einer Weiterentwicklung des Denkens über die Vereinten Nationen, spiegelt aber Umwälzungen wider, die in den Staaten selbst stattgefunden haben: den Aufstieg von Demokratie und Menschenrechten und die Akzeptanz der Schutzverantwortung.
    Der Umgang mit Erwartungen stellte während all dieser Entwicklungen und inmitten all der Schwierigkeiten, mit denen wir in meiner Amtszeit als Generalsekretär konfrontiert waren, das hartnäckigste Problem dar. Es resultierte zum Teil aus unserem Verhältnis zu den Medien, war aber auch struktureller Art, denn in vielerlei Hinsicht gibt es zwei UNO s. Die eine besteht aus der Organisation mit dem Sekretariat unter der Leitung des Generalsekretärs, die andere bilden die Mitgliedsstaaten. Wenn alles gutgeht, beansprucht jeder das Verdienst für sich. Aber wenn etwas schiefläuft, wird allzu oft nur der ersten UNO die Schuld angelastet, obwohl sie, was ihre Ressourcen sowie ihre politische Orientierung und Handlungsvollmacht angeht, völlig von der zweiten abhängt.
    Gleichzeitig muss sich die UNO davor hüten, zu große Erwartungen in Bezug auf ihre Möglichkeiten zu wecken. Aus den Reihen des Sekretariats sind manchmal Äußerungen zu hören, die den Eindruck vermitteln, als würden wir uns zutrauen, über Nacht die Menschheit zu retten. Das kann gefährlich sein, und Mitgliedsstaaten stoßen gelegentlich ins gleiche Horn. Einige dieser Lehren haben wir in Bosnien gelernt, als der Sicherheitsrat Sicherheitszonen verkündete, die nicht sicher waren. Srebrenica ist zum Synonym für die Kluft zwischen Worten und Taten geworden. Wir sind unseren Worten nicht immer gerecht geworden. Aber das ist vielleicht das Schicksal der UNO : Die Erwartungen derjenigen, die sie als Allheilmittel für die Probleme der Welt betrachten, muss sie enttäuschen; gleichwohl verleiht sie, wie bruchstückhaft auch immer, den Ansprüchen einzelner Männer und Frauen eine Stimme, die in allen Ländern bestrebt sind, ein würdevolles, chancenreiches Leben ohne Unterdrückung und die Gefahr von Konflikten zu führen.

5

DAS SCHICKSAL
EINES KONTINENTS
    Afrikas Kriege, Afrikas Frieden
    Die nigerianischen Geheimdienstmänner schoben uns in den mittleren der drei schwarzen Peugeots und sprangen dann selbst in die Wagen. Der Fahrer trat so heftig aufs Gaspedal, dass es sich anfühlte, als würden wir in den Nachthimmel abheben. Schnell hatten wir die Marke von 160 Stundenkilometern überschritten. Von den verständlicherweise ängstlichen Reaktionen Lamin Sises, meines engsten Beraters, der neben mir saß, bekam der Fahrer offenbar nichts mit. In den Linkskurven wurde Lamin an mich gepresst, in den Rechtskurven ich an ihn. Wir wussten nicht, wohin man uns brachte, und während der Wagen auf halsbrecherische Weise die Kurven nahm, rutschte im Kofferraum etwas Schweres hin und her und stieß abwechselnd an die eine, dann an die andere Seite.
    Ich wollte nicht, dass die nigerianischen Geheimdienstleute uns verstanden, deshalb sprach ich Französisch. »Wo ist Nick?«, fragte ich, während ich mit den Fliehkräften kämpfte. Nick Panzarino war mein Leibwächter.
    »Er ist im vorderen Wagen«, versicherte mir Lamin. Wie sich herausstellte, wusste er es jedoch nicht genau; er konnte noch nicht einmal sagen, ob Nick es in eines der Autos geschafft hatte, so schnell hatten uns die Nigerianer in die Wagen verfrachtet.
    Wir schwiegen einen Augenblick und dachten über unsere unwirklich anmutende Lage nach,

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