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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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Vorbild der Selbstbereicherung der vor ihnen herrschenden weißen Siedler nacheiferten, indem sie öffentliche Ämter nutzten, um sich selbst, ihre Verwandten und ihren Stamm zu bereichern. Nach einem Machtwechsel schien diese Ungerechtigkeit die Umleitung der Ressourcen im selben Umfang zum Stamm der neuen Regierenden zu rechtfertigen. Es war eine Korruption in der Maske der Gerechtigkeit, die mit jedem Regierungswechsel zunahm.
    Das war die Situation der Elite an der Spitze. Von unten gesehen, war es ein System, das auf einer immensen Korruption aufbaute, die gewöhnlichen Menschen ihre Chancen nahm. Im Jahr 2007 bedeutete dieser korrupte Gebrauch der staatlichen und ökonomischen Ressourcen, dass nur wenig davon nach unten durchsickerte. So nutzte der typische kenianische höhere Staatsdiener oder Geschäftsmann seine Stellung, um das Schulgeld und die Krankenhausrechnungen von rund fünfzig Verwandten zu bezahlen, während 55 Prozent der Bevölkerung von weniger als einem Dollar am Tag leben mussten. Die meisten waren so tief in der Armut versunken, dass ein Zucken der Wirtschaft genügte, um sie in den völligen Bankrott zu stürzen. Nur die korrupte Verteilung des Wohlstands entlang blutsmäßiger oder ethnischer Bande garantierte den ständigen Zufluss der fürs Überleben nötigen Mittel. Aber entsprechend der Logik der kenianischen Politik nach dem Motto »Der Gewinner bekommt alles« musste man warten, bis der eigene Stamm an die Macht kam.
    In einem derart verrotteten System war Korruption für den Lebensunterhalt in allen Bereichen unerlässlich. Für die meisten Kenianer war das Leben ein erbitterter Kampf auf von der Stammeszugehörigkeit vorgezeichneten schmalen Pfaden. Für gewöhnlich war es allerdings ein Kampf im Verborgenen, der so sehr ins kenianische Leben verwoben war, dass er für Außenstehende zumeist unsichtbar blieb. Tatsächlich erwähnten die Kenianer selbst im Alltag Stämme und Stammeszugehörigkeit nur selten. Deshalb bemerkten trotz der Warnzeichen nur wenige, was sich zusammenbraute. Die lange Vorherrschaft der Kikuyu-Elite in der kenianischen Politik hatte zur Folge, dass sich die Opposition im Wahlkampf vor der Wahl von 2007 als Gegner dieser Ungleichheit gerierte. Auf kommunaler Ebene, besonders in den vielen armen Gemeinden, erhielt diese politische Stoßrichtung des Wahlkampfs zunehmend den Sinn einer Abrechnung, des »41 gegen 1«, in Anspielung auf die 41 kenianischen Stämme, die es neben den dominanten Kikuyu gab.
    In den Meinungsumfragen lag die oppositionelle Orange Democratic Movement ( ODM ) unter Führung von Raila Odinga aus dem Stamm der Luo weit vor der Partei der Nationalen Einheit ( PNU ) unter Präsident Mwai Kibaki, einem Kikuyu. Wie sich später herausstellte, wurde der erwartete politische Wechsel nicht nur als ein berechtigter Anspruch der Benachteiligten betrachtet, sondern auch als Akt der Gerechtigkeit, durch den die derzeit (und aus ihrer eigenen Sicht) Berechtigten bald rechtmäßig ihre Ressourcen verlieren würden. Diese Einstellung war besonders bei den Luo zu finden, einem der drei größten Stämme Kenias, der wiederholt aus dem System der rotierenden ethnischen Hegemonie, dessen Nutznießer vor allem die Kikuyu und die Kalenjin waren, ausgeschlossen worden war.
    Aber am 30. Dezember wurde entgegen allen Erwartungen Präsident Kibaki zum Wahlsieger ausgerufen. Das brachte das Fass zum Überlaufen. Das Ergebnis widersprach sämtlichen Umfragen und auch dem Resultat der Parlamentswahl, die beide die ODM in Front gesehen hatten. Man hielt es allgemein für ausgemacht, dass das Wahlergebnis gefälscht worden war. Die ODM und ihre Anhänger erklärten die Wahl für einen Schwindel und forderten eine Wiederholung, während Kibaki noch in derselben Nacht in Anwesenheit von gerade einmal einer Handvoll Menschen in aller Eile vereidigt wurde. Jede Manipulation leugnend, verlangte er von der Opposition, sich in die Niederlage zu fügen.
    Aber ein großer Anteil der Kenianer lebte in bitterster Armut, und ihr Schicksal hing von dem ab, was in einem betrügerischen Spiel à la Reise nach Jerusalem gewonnen oder verloren wurde. Letztendlich regierte in Kenia nicht ein wie auch immer gearteter Rechtsstaat, sondern die Abstammung – und entlang eben dieser Stammeslinien floss jetzt das Blut.
    Es begann damit, dass Luo Unternehmen und Häuser von Kikuyu plünderten – gewissermaßen als Entschädigung für das, was man ihnen vorenthalten hatte –, und eskalierte

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