Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
dann durch zunehmende Unsicherheit und Stammeskämpfe, bis alle ethnischen Gruppen Kenias in den Aufruhr verstrickt waren. Die Furcht, von seinem Platz in der Schlange vor den staatlichen Futtertrögen verdrängt zu werden, traf auf die Furcht, in das Elend derjenigen zu stürzen, die vom Zugang zu ihnen ausgeschlossen waren. Und Unsicherheit führte zu Gewalt, Brutalität und bald auch zu systematischem Massenmord. So wurde berichtet, dass mit Macheten bewaffnete Banden Autobusse anhielten und die Passagiere aussteigen ließen, um ihre Ausweise zu kontrollieren. Aus Familiennamen und Geburtsort konnte man auf die Stammeszugehörigkeit schließen, und wessen Ausweis die falsche Antwort gab, der wurde zusammengeschlagen oder sogar getötet.
Vor Ausbruch der Unruhen hielt ich mich in Accra in Ghana auf. Da ich nicht mehr unter dem unerbittlichen Diktat des Terminkalenders eines UN -Generalsekretärs stand, verbrachte ich die Weihnachtstage in meiner Heimat. Wie die meisten ahnte auch ich nicht, welcher Sturm sich in Kenia zusammenbraute. Nane erinnerte mich daran, dass an jenem Tag die Wahlen in Kenia stattfanden, und wir schalteten den Fernseher ein, um das Ergebnis zu erfahren. Kurz darauf sahen wir mit an, wie sich die Gewalt in dem Land ausbreitete und immer brutaler wurde. Am Neujahrstag wurden in einer Kirche dreißig Menschen eingesperrt und ermordet, Schulen wurden in Brand gesteckt und ganze Dörfer verwüstet. Luo überzogen Kikuyu und Kalenji mit Mord und Vergewaltigung und umgekehrt. Stammeskonflikte, deren Ursachen zu tief reichten, um auf ein friedliches Ende hoffen zu lassen, brachen offen aus. Flugzeuge, die nach Nairobi flogen, waren fast leer, während Fahrzeuge, die das Land verließen, übervoll waren. Die Bilder von Zivilisten, die auf der Straße und in Kirchen ermordet worden waren, erinnerten mich an Ruanda und Bosnien. In einem Land, in dem die Mehrheit in bitterer Armut lebte, das aber in 42 ethnische Gruppen gespalten war, lag das Potential für ein Auseinanderfallen und den Absturz in einen Bürgerkrieg auf der Hand – und das entlang Trennlinien, die ähnlich komplex waren wie in Somalia.
Außenstehende spürten dies, besonders afrikanische Führer. Friedensnobelpreisträger Erzbischof Desmond Tutu flog am 2. Januar nach Nairobi, um zwischen Odinga und Kibaki zu vermitteln. Aber sie waren trotz des blutigen Chaos, das um sie herum wütete, nicht gesprächsbereit. Das Kibaki-Lager beharrte stur auf seinem Sieg, und Odingas Orange Democratic Movement war wütend darüber, dass ihr der Machtantritt verwehrt worden war. Am 4. Januar entsandte US -Präsident Bush Jendayi Frazer, die Ministerialdirektorin für afrikanische Angelegenheiten im US -Außenministerium, mit einem ähnlichen Auftrag nach Kenia, aber auch sie stieß auf eine Mauer der Ablehnung.
Den Vorsitz der Afrikanischen Union hatte zu jenem Zeitpunkt der ghanaische Präsident John Agyekum Kufour inne, und er lud mich in sein Haus in Accra ein, um mit mir über die Krise zu sprechen. Ich bekräftigte ihn in dem Entschluss, in seiner Eigenschaft als AU -Vorsitzender nach Kenia zu reisen, um zu sehen, ob er einen Ausweg aus der verfahrenen Lage finden konnte. Weil die Kibaki-Regierung zunächst jegliche Vermittlung durch Außenstehende öffentlich ablehnte, verzögerte sich Kufours Reise um einige Tage, in denen sichergestellt wurde, dass der kenianische Präsident ihn willkommen heißen würde. Kufour landete schließlich am 8. Januar in Nairobi, am selben Tag, als auch Benjamin Mkapa, Joachim Chissano, Ketumile Masire und Kenneth Kaunda, die früheren Präsidenten von Tansania, Mosambik, Botswana und Sambia, eintrafen.
Während ihres Aufenthalts besuchten die früheren Staatschefs die Stadt Eldoret, in der bereits ganze Stadtteile verwüstet worden waren. Kibaki und Odinga lehnten es allerdings ab, sie zu empfangen. Als jedoch keinerlei Rückgang der Gewalttätigkeiten erkennbar war, konnte Kufour den Kenianern die Zustimmung zu einer afrikanischen Vermittlergruppe abringen. Ich erfuhr davon am 10. Januar durch einen Anruf Kufours.
»Sie haben einem afrikanischen Vermittlerteam zugestimmt«, eröffnete er mir. »Es ist ein Dreierteam, dem sie zugestimmt haben: Graça Machel und Benjamin Mkapa. Unter der Leitung« – nachdem er die ehemalige mosambikanische Bildungsministerin und Ehefrau Nelson Mandelas und den früheren tansanischen Präsidenten genannt hatte, fügte er das letzte Versatzstück hinzu – »von Kofi Annan.
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